Depression

Lügenkonstrukt

Manchmal empfinde ich mich komplett als Lüge. Alles, von dem ich denke, was ich bin und mich ausmacht, ist ein wackeliges Konstrukt, welches ich selbst, aus dem Wunsch heraus so zu sein, aufgebaut habe. Wenn man nur lange genug an eine Sache glaubt, fühlt sie sich wie die Realität an.

Wer bin ich eigentlich?

10 Gedanken zu „Lügenkonstrukt“

  1. Puh, das kenne ich sehr, sehr gut.
    Als ich vor ein paar Jahren endlich (!) physisch zusammenbrach, träumte ich zunächst einen gigantischen Traum von einer Hochhauswelt, die völlig in sich kollabierte. Ich entkam ihr nur in allerletzter Sekunde.

    Was für ein Gleichnis – genauso war es mit meinem Leben.

    In der Zeit danach, auf extrem wackeligen Lebensbeinen, musste ich feststellen, dass meine sogenannte Lebensrealität in Wahrheit nichts als Fassade war. Die Umschreibung Potemkinsches Dorf kam dieser Wahrnehmung sehr nah.

    Hohl, leer, anstrengend weil im Grunde ständig gelogen. Mich selbst belogen, um die Fassade aufrecht zu halten. Für alle, nur nicht für mich.

    Doch, Annie, dies zu erkennen, war soooo wichtig. Noch heute weiß ich oft nicht, ob ich gerade wieder Theater spiele z. B. in der Rolle des lustigen Vaters, des leistungsfähigen Machers, des attraktiven Männleins … da gibt’s ja genügende ….. oder ob ich einfach authentisch bin.

    Wenn ich plötzlich in all meinen Bewegungen innehalte und den Vögeln bei ihrem Morgenkonzert lausche,
    wenn ich die Sonne warm auf meinem Gesicht spüre,
    wenn mit dem warmen Wind ein Seelenstreicheln mich durchströmt …

    da spüre ich dann keine Fassade.

    LG Klaus

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    1. Lieber Klaus,
      es sind nur diese kleinen Phasen, die mich immer wieder an mir zweifeln lassen. Im Großen und Ganzen habe ich über die letzten Jahre durch die unterschiedlichsten Lebenserfahrungen lernen dürfen, mehr ich selbst zu sein. Vor allem, mir selbst gegenüber ehrlich zu sein. Nur mit dem ernst nehmen hapert es. Dann kommen die Selbstzweifel und so ein kleiner Textabschnitt entsteht, damit ich mich nicht in Gedanken zerfleische.

      Übrigens: Ich denke wir alle haben unterschiedliche Rollen in unterschiedlichen Lebenslagen. Das ist erstmal gar nichts Schlimmes oder ‚Falsches‘. Jeder Teil, den du einnimmst, ist ein Teil von dir!

      Grüße von Annie

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  2. Oh auch ich kenne dieses Empfinden so gut… Jahrelang hat war das mein Leitgedanke zu mir selbst und es war unerträglich. Bis ich dann endlich durch meine sich zuspitzende Entwicklung hin zur Katastrophe durch die ersten Therapieerfahrungen und dem Austausch mit anderen Betroffenen lernte, dass ich mich akzeptieren darf so wie ich bin. Irgendwann konnte ich endlich anfangen, zu erkennen, ich bin keine Lüge, keine, die etwas vormacht, hinter deren Fassade gar nichts ist. Ich bin wie ich bin. Auch wenn das immer ein wenig anders ist.
    Lieben Gruß von Herzen.

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    1. Danke für diesen mitfühlenden Kommentar. Grundsätzlich sind wir sicherlich keine Lüge. Wir sind wir – mit allen Ecken, Kanten und Macken. Bei mir kommen nur häufiger Selbstzweifel hoch, wenn ich denke ich habe ein Teil von mir gefunden. Die setzen dann eine riesige Gedankenspirale in Gang, die ich kaum noch stoppen kann.
      Grüße von Annie

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  3. Die Frage „Wer bin ich eigentlich“ wird durchaus in der psychologischen Literatur über Depression diskutiert: Der Klassiker dazu ist natürlich „Das Drama des Begabten Kindes“ (Untertitel beachten!) von Alice Miller, sie bezieht sich wiederum auf Karen Horney, die ebenfalls das wahre Selbst und das falsche Selbst thematisiert. Lesenswert!

    Aber was anderes: mir hat der Test über „Noogene Depressionen“ von Mario Brocallo ein paar gute Impulse geliefert … LG Jutta

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    1. Liebe Jutta,
      das Buch von Alice Miller habe ich mal vor über 10 Jahren gelesen. Vielleicht sollte ich mir das nochmal zu Gemüte führen?! Noogene Depressionen sagt mir gar nichts, aber jetzt hast du mich total neugierig gemacht. Danke für diesen Hinweise.
      Viele Grüße von Annie

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  4. Hallo Annie,
    wollte dir schon vor längerer Zeit einen Kommentar hinterlassen. Was mir als erstes in den Kopf kam bei diesem Beitrag hier war die erste Gruppentherapiesitzung in „Die Wutprobe“. Erinnerst du dich noch? Dave soll sich vorstellen, wer er ist. Also erzählt er, dass er in dieser Firma arbeitet und Kleidung für Tiere entwickelt. Nein, nein, schreitet Dr. B. ein, er soll nicht sagen, was er macht, sondern wer er ist. Als nächstes versucht es Dave mit er würde gelegentlich Tennis spielen. Dr. B. gefällt das nicht. Nicht seine Hobbys soll er beschreiben, sondern wer er ist. Dave hofft durch Beispiele von anderen aus der Gruppe eine mögliche „korrekte“ Antwort zu bekommen. Aber auch das wird abgeblockt von Dr. B.: „Soll Lou dir sagen, wer du bist?“
    Mir fällt da noch das Lied „True Colours“ von Phil Collins ein. Ein Aufruf, sein wahres ich, seine wahren Farben zu zeigen.
    Und noch ein recht bekannter Spruch von Oscar Wilde: „Der Mensch ist am wenigsten er selbst, wenn er für sich selbst spricht. Gib ihm eine Maske und er wird dir die Wahrheit sagen.“ Seltsamerweise hatte ich vor einigen Wochen bis Monaten ein sehr starkes Bedürfnis am liebsten eine reale Maske tragen zu können und das nicht wegen meiner Narben und weil mich andere eventuell deshalb anstarren könnten. Ich bin noch immer nicht sicher, warum ich genau eine Maske wollte.

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    1. Liebe Sarah,
      ich kann mich an den Film nur noch ganz dunkel erinnern. Vielleicht sollte ich ihn nochmal schauen? Es ist aber echt schwierig, sein wirkliches ICH vorzustellen Wir definieren uns immer auch über unsere Fähigkeiten, Hobbies oder wie wir gerne sein wollen. Mir fiel zu deiner Maske ein, dass du vielleicht einfach mal jemand anders sein wolltest? Oder auch einfach DU sein wolltest, ohne gesehen zu werden?
      Annie

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    2. Liebe Annie,
      was den Film angeht, hätte ich ihn auf DVD. Wenn du Lust hast, könnten wir uns mal treffen und ihn gemeinsam anschauen. 🙂
      Was die Maske angeht, ich wollte eine ganz bestimmte haben, die es so nicht real gibt, wie ich sie mir im voller Funktionsweise wünsche. Es gibt nur Varianten davon. Ich würde sagen, dass ich mich ohnehin nicht vor anderen verstelle. Also vermute ich, dass ich die Maske nicht wollte, um ich selbst zu sein. Ich weiß es nicht. Ich schrieb einer Internetfreundin, ich wollte meinen bösen Blick vor Fremden verstecken, die mir ja nichts getan haben. Sie schlug eine verspiegelte Sonnenbrille vor. Abgesehen davon, dass ich so eine ohnehin nicht habe, schien mir das auch nicht genug. Irgendwas in mir sagte: Brille ist nicht genug, ich will eine Maske.
      Liebe Grüße
      Sarah

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