Borderline, Essverhalten, Innere Anteile

Zerplatzte Hoffnung!?

Ich habe heute das erste Mal bewusst festgestellt, dass sich Sonntage irgendwie leichter anfühlen als der Rest des Wochenendes. Meistens gehe ich schon mit einem riesigen Überforderungsgefühl in den Samstag, weil mein innerer Kritiker mir Druck macht, alles aufholen zu müssen, was unter der Woche liegen geblieben ist. Totaler Bullshit! Und trotzdem sitzt es mir im Nacken. Während der Samstag sich elendig nach Versagen anfühlt, ist der Sonntag urplötzlich leichter. Befreiter. Flexibler. Selbst die Stimme des Kritikers ist leiser; so als hätte jemand die Lautstärke heruntergedreht. Es ist ein Durchatmen, Kraft tanken und neu Ausrichten. Den Fokus nach vorne – auf die kommende Woche – statt zurück.

Die letzte Woche war auch eher schwierig. Gleich am Montag hatte ich einen Termin in der psychosomatischen Ambulanz für Ess- und Gewichtsstörungen, weil ich seit jeher Probleme mit meinem Essverhalten habe. Schon als Kind habe ich das Essen verweigert und war dünner als üblich. In der Jugend hingegen war ich immer etwas über der Norm, aber weit entfernt von meinem – mittlerweile starken – Übergewicht. Ich habe in den letzten 15 Jahren einige Abnehmversuche gestartet. Manche waren erfolgreich, manche nicht. Nur eine Sache blieb gleich: ich habe bei jedem Versuch sehr ungesunde Denkmuster und Verhaltensweisen entwickelt. Egal, was es zu zählen gab, es artete in rigorose Vorgaben aus. Zusätzlich drehten sich meine Gedanken den ganzen Tag nur noch um ‚Was kann ich essen? Wieviele Punkte/Kalorien hat XYZ ? Und wieviel ist danach noch übrig? Passt das noch in den Tag?‘ Und wenn ich mich mal nicht an meine Vorgaben halten konnte, wertete ich mich mit sehr harten Worten ab.

Ich weiß, dass ich das Thema allein nicht in den Griff bekomme werde und habe mir erst vor Kurzem erlaubt, deswegen Hilfe zu suchen. Im Internet fand ich das Angebot der psychosomatischen Ambulanz und war wirklich hoffnungsvoll, als ich las, dass sie auch Patient*innen ohne diagnostizierte Essstörung behandeln, wenn das Gewicht Auswirkungen auf die Psyche hat. Irgendwie habe ich daraufhin die (idealisierte?) Vorstellung entwickelt, dort den Raum zu haben, um an meinem Essverhalten arbeiten zu können, während ich mit meiner ambulanten Therapeutin die dahinter stehenden, tiefergehenden Mechanismen anschaue. Ich denke nämlich, dass das Essen nur ein Nebeneffekt meiner anderen Erkrankungen ist. Die Psychologin vor Ort sah das genauso. Nur leider passe ihr Angebot dann nicht zu mir. Schließlich falle ich ja nicht in die Kategorie ‚binge eating‘ (wieso auf einmal doch wieder starre, diagnostische Vorgaben?). Nein, das tue ich tatsächlich nicht. Und trotzdem macht mir mein Essverhalten Probleme! Sie beendete das Gespräch (in meinen Augen) relativ abrupt mit dem Hinweis, dass sich die Essproblematik auch durch eine ambulante Therapie ‚von allein‘ bessern könne. Klar, ich hampel seit gut 20 Jahren mit dem Thema herum, habe zig Therapien hinter mir, aber wird sich schon von allein erledigen *sarkasmus off*.

Immerhin ‚darf‘ ich mich erneut bei ihr melden, wenn das Thema in ein paar Monaten noch akut sein sollte. Dann würde sie mich auch auf die Warteliste für eine stationäre Therapie setzen. Dabei will ich doch gar nicht in die Klinik. Ich suche ambulante Unterstützung! Nur gerade an diesem Morgen war ich nicht selbstbewusst genug, um genauer nachzufragen und meine Bedürfnisse zu äußern. Direkt ein gefundenes Fresschen (Wortwitz haha) für meinen inneren Kritiker.

Siehste, du kannst nichtmal sagen, was du brauchst, weil du dich selbst nicht ernst nimmst! Wie soll das diese Frau dann tun? Ich habe dir ja gleich gesagt, dass du dort falsch bist! Du hast keine Hilfe verdient! Du musst dich einfach nur mal zusammenreißen und weniger fressen!

Lieber Herr Kritiker, ich werde mich von dir nicht unterkriegen lassen! Wenn ich bei diesem Thema Hilfe brauche, dann darf ich auch um Hilfe bitten! Außerdem muss es definitiv mit in die Einzeltherapie! Es darf nicht außen vor bleiben, nur weil ein innerer Anteil gute Gründe dafür hat, die ich – als gesunde Erwachsene – auch noch total verstehen kann.

Genug von diesen belastenden Dingen. Jetzt gibt es noch eine kleine Geschichte, die mich heute zum Schmunzeln gebracht hat. Auf meinem Spaziergang durch die Gartenanlage begegnete mir eine Frau mit ihren beiden Kleinkindern. Eines der Kinder lief etwas hinterher und versteckte sich immer wieder in der Hecke. Als ich an der Mutter vorbeilief, hörte ich das zweite Kind fragen: „Mama, wo is mein Buder?“. Die Mutter wusste natürlich, dass er sich hinter ihnen versteckt, aber antwortete ganz erstaunt: „Ich weiß nicht, wo dein Bruder ist. Ruf doch mal nach ihm!“ – „Buder, wo bis du?“. Keine Ahnung wieso, aber ich musste in diesem Moment kurz auflachen, weil ich es so herrlich fand, dass er seinen Bruder nicht bei seinem Namen nannten. Irritierend lustig.

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6 Gedanken zu „Zerplatzte Hoffnung!?“

  1. Ein schöner Beitrag, und der Beweis dass dein innerer Kritiker dir zu Unrecht so schlecht zuredet.
    Ich wünsche dir dass auch der kommende Sonntag ein guter wird, und dir die Hilfe zuteil wird die du verdienst.

    Liebe Grüße
    Daniel

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    1. Awww, der liebe Daniel, danke für deinen Kommentar und Schande auf mein Haupt, dass ich ewig nicht bei dir vorbeigeschaut habe. Das wird nachgeholt! Wir haben ja auch schon länger nichts mehr voneinander gehört. Wirst du wieder zurück zu Mastodon kommen? Mein Kritiker ist dieser Tage sehr anstrengend, aber ich glaube ich habe ihn relativ gut im Griff. Wobei das sehr von der jeweiligen Tagesverfassung abhängt. Logisch!
      Viele Grüße von Annie

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  2. Moin Annie.

    Im Moment zieht mich nichts in soziale Netzwerke. Ich lese trotzdem gerne und interessiert mit was es hier neues gibt, bin also nie ganz weg. Alles gut so wie es ist.

    Der innere Kritiker hat anscheinend nichts besseres zu tun. Immer schön von sich selbst ablenken, damit keiner merkt wie klein und unwichtig er selbst eigentlich ist. Der kocht auch nur mit Wasser.

    Lass es dir gut gehen, der Frühling nähert sich in großen Schritten und mit ihm mehr Sonne und allmorgendliches Vogelgezwitscher. 🙂

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  3. Was machst du denn Nachts um halb Zwei dass du die Vögel zwitschern hörst? 😉
    Für solche Fälle empfehle ich dir über die Anschaffung eines Katers nachzudenken. Der wird sich der Sache sicher gerne annehmen damit du wieder in Ruhe durchschlafen kannst.

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