Ich war über das Wochenende nach langer Zeit mal wieder in meinem Elternhaus und ich habe lange mit mir gerungen, ob ich hinfahren soll. Der Ort meiner Kindheit ist kein Platz, an dem ich gerne bin. Aber mein Vater hatte Geburtstag und wünschte sich, dass seine Familie mal wieder beieinander ist. Ihm geht es körperlich nicht gut. Das Alter zollt seinen Tribut. Nächstes Jahr wird er schon 80! Das ist echt unglaublich. Ich weiß noch, wie ich als Kind auf dem 80. Geburtstag meines Opas gewesen bin. Zwischen all den ‚uralten‘ Leuten. Und jetzt gehört mein Vater schon dazu.
Mir ist bewusst, dass ich mich mit dem Thema ‚Tod‘ auseinandersetzen muss. Aber ich will es nicht! Okay, wer will das schon?! Wahrscheinlich niemand. Irgendwie leben die Eltern in der Wahrnehmung der Kinder immer ewig. Mein Vater ist jedoch froh, wenn er noch den nächsten Geburtstag miterleben darf, sagt er zumindest. Ich kann mit solchen Aussagen nur schwer umgehen. Was soll ich darauf auch antworten?!
Mein Vater und ich haben nicht gerade das beste Verhältnis. In meiner Kindheit war er mein Held und mein größter Feind zugleich. Während der Jugend und im frühen Erwachsenenalter rangelten wir um die Macht über den jeweils Anderen. Und heute?! Ehrlich gesagt, keine Ahnung! Wir rutschen häufig in unsere alten, festgefahrenen Muster, auch wenn wir uns beide bemühen, anders miteinander umzugehen. Ich habe mich verändert, er hat sich verändert. Trotzdem können wir nicht immer aus unserer Haut.
Das Wochenende war anstrengend! Täglich wird gemeckert, gemault und gejammert. Eines Abends habe ich mich dazu hinreißen lassen, meine Eltern zu fragen, ob es nicht auch etwas positives zu erzählen gäbe. Die erste Antwort meines Vaters: „Das würde ich ja gerne, wenn es denn etwas gäbe.“ – Ich: „Vielleicht solltest du mal deinen Blickwinkel etwas verändern, um deine Sicht zu erweitern.“
Und wenn ich jetzt so darüber nachdenke, wird mir bewusst, dass ich an einem Punkt bin, an dem ich ganz schön ‚gewagte‘ Dinge tue. Ich widerspreche, ich diskutiere, ich sage meine Meinung. Eigentlich ist das vergebene Liebesmüh, weil mein Vater sowieso nicht klein beigibt, aber ich kann einige seiner Aussagen und Sichtweisen nicht einfach so stehen lassen. Und es macht mich stolz, für meine Bedürfnisse und Meinungen einzustehen. Denn das hätte ich mich früher niemals gewagt.
Letztlich war der Besuch weniger schlimm als ich dachte. Trotzdem war ein Teil von mir froh, wieder in meine eigene Wohnung zu kommen. Niemand, der den ganzen Tag meckert. Niemand, dem ich etwas Recht machen muss. Niemand, der die Kontrolle über mein Leben haben möchte. Dafür liegt hier die Einsamkeit auf mir. Und sie drückt in letzter Zeit mehr denn je.