Seelenbeitrag Tag 9
Mir fällt gerade auf, dass mein Neffe heute Geburtstag hat und ich ihn noch gar nicht angerufen habe. Um ehrlich zu sein, bin ich unsicher, ob ich ihn überhaupt anrufen soll. Eigentlich wollte ich nie eine Tante sein, die sich nicht für ihre Neffen interessiert. Aber durch die emotionale Distanz zwischen meinem Bruder und mir, ist auch die Beziehung zu seinen Kindern auf der Strecke geblieben. Und gerade der Kleinere der Beiden hat sich schon vor einigen Jahren mehr und mehr von mir abgewandt. Das tut weh – sicherlich auf beiden Seiten. Ich fühle mich schuldig. Dabei weiß ich ja, dass unsere Familienverstrickungen kompliziert sind.
Ich passe nicht ins System. Ich bin die Kranke, die nichts auf die Reihe bekommt und faul zu Hause rumsitzt. Denn wie sagte mein Bruder vor einiger Zeit mal zu mir: „Eine Depression kann ich mir nicht leisten!“ Als hätte mich jemand gefragt, ob ich diese beschissenen Erkrankungen haben möchte. Ja, ich bin keine Großverdienerin mit eigenem Haus und BMW vor der Tür. Ich protze nicht mit dem, was ich habe, denn ich habe relativ wenig. Aber ich lebe! Verdammte Scheiße, ich habe dieses System ÜBERLEBT!
Mist, in diese Richtung sollte der Beitrag gar nicht gehen. Ich wollte über das Dilemma mit meiner Freundin erzählen. Aber vielleicht ist gerade jetzt und hier nicht der Platz dafür. Vielleicht beschäftigt mich der Geburtstag meines Neffens unbewusst mehr als ich denke?! Wie schaut es auch aus, wenn sich die einzige Tante nicht meldet, weil sie Angst vor all den Fragen hat? Ich kann mir gut vorstellen, was da in der Familie getratscht wird. „Was?! Nichtmal deine Tante hat sich gemeldet?! Unglaublich!“
Mein lieber J., wie gerne würde ich mehr an deinem Leben teilnehmen. Was läuft bei dir gut und wo drückt es ein wenig? Ich würde dir gerne sagen, dass du dich auf mich verlassen kannst. Selbst wenn ich nicht bei euch bin, so bin ich doch hier! Ansprechbar! Und ich hoffe, dass du und dein Bruder dies ganz tief in eurem Herzen wisst! Alles Gute zum Geburtstag, mein Kleiner!