„Eigentlich will ich gerade gar nicht darüber reden!“ sagte ich zu meiner Psychologin aus der Ambulanz und schaute beschämt zu Boden. „Okay! Das ist vollkommen in Ordnung!“
Ich glaube das war das erste Mal, dass ich diesem unbehaglichen Gefühl in mir eine Stimme gegeben habe. Wie oft saß ich bei meiner ehemaligen Therapeutin und antwortete auf ihre Fragen nur mit „ich weiß nicht“ oder „keine Ahnung“, obwohl ich in dem Moment eigentlich über etwas vollkommen anderes sprechen wollte?! Und natürlich kann ich keine zufriedenstellenden Antworten finden, wenn ich mit dem Kopf ganz woanders bin. Es machte mich unzufrieden und auch wütend. Wütend auf meine Therapeutin, wütend auf mich. Sieht sie denn nicht, dass ich gerade etwas völlig anderes sagen will? Und wieso sage ich es nicht einfach? Stattdessen kam aus meinem Mund immer wieder und wieder und wieder nur ein genervtes „ich weiß nicht!“
Aber diese Woche habe ich es getan! Ich habe das Gefühl bemerkt und nach dem dritten „ich weiß nicht“ platzte es einfach aus mir heraus. „Eigentlich will ich gerade gar nicht darüber reden!“ Und es war vollkommen okay! Ich wurde gehört und mit meinem Bedürfnis über etwas anderes sprechen zu wollen vollständig angenommen. Mann, was war ich hinterher stolz auf mich!
Leider hielt das gute Gefühl nicht allzu lange an. Nach ein paar Stunden zu Hause überfielen mich die Selbstzweifel und mein innerer Kritiker lief so richtig zur Höchstform auf. Ich schnappte mir mein Tagebuch und schrieb all meine Gedanken aus dem Kopf.
Was ist ‚richtig‘ und was ist ‚falsch‘? Und wieso brauche ich wieder einmal eine Kategorisierung? Für die innere Sicherheit? War es jetzt ‚gut‘ oder ‚schlecht‘, dass ich mir Gehör verschafft habe? Oder kann es nicht einfach beides sein? Nicht nur schwarz oder weiß, gut oder böse?!
Schließlich habe ich ein altes Muster in mir erkannt und mich ernst genommen. Ich bin für meine Bedürfnisse eingestanden und konnte dadurch die Sitzung aktiv mitgestalten. Wünscht sich nicht jeder Therapeut so einen Klienten?!
Gleichzeitig fühlt es sich wie eine Flucht an. Flucht vor den Fragen, die eventuell unangenehme Themen antriggern könnten. Ich fühle mich schuldig, dass ich meine Psychologin unterbrochen habe und dadurch die Aufmerksamkeit wieder vollständig auf mich gelenkt habe. Spiele ich mich nicht zu sehr auf?!
Alles nicht so einfach!
Meine Gänseblümchen der Woche:
- nach langer Zeit wieder begonnen, Tagebuch zu schreiben
- mir macht das Lesen von Büchern wieder mehr und mehr Spaß
- die beleuchtete Innenstadt
- ich bekomme den Haushalt gerade echt gut auf die Reihe
- meine neue Wolle für den Schal ist angekommen und ich liebe sie
- mein ‚Ein guter Plan‘ ist auch angekommen – mal schauen, ob ich damit warm werde
- Lebkuchen gebacken
- meinen beleuchteten Weihnachtsstern ins Fenster gehangen – er ist uralt und toll!
- häkeln und dabei Musik oder Podcast hören
- Besuch von der lieben Nelia – wir haben Kaffee getrunken, Lebkuchen gegessen und ganz viel gequatscht
Was waren eure schönen Momente der Woche? Und wie geht ihr mit widersprüchlichen Gefühlen um? Könnt ihr beides nebeneinander stehen lassen?
Hier könnt ihr nachlesen, was es mit dem Gänseblümchen der Woche auf sich hat. Ihr seid herzlich eingeladen, daran teilzunehmen.
Noch mehr Gänseblümchen findet ihr bei
- Jess von Schattenwege
- Laberladen
- Nelia von Farbensehnsucht
- Nicole von Goldkindchen
- Meersinn – Zwischen den Zeilen
- Trienchen von Colours & Darkness
- Birke Zeitenmosaik
- Jeca von Psychologik
Nein, einfach ist es nicht, liebe Annie. Aber gfanz und gar nachvollziehbar. Dein Text hat mich an die eine oder andere Therapiestunde erinnert, die ich selbst hatte. Und auch an mein jeweiliges „danach“.
Wir haben nicht dieses überbordende Selbstbewusstsein, dass den inneren Kritiker stumm zu machen in der Lage ist. Die immer wiederkehrende Auseinandersetzung mit ihm aber, ist jedes Mal wieder fordernd, schwer und von Selbstzweifeln begleitet.
Weil das so ist, weil wir so sind, sind (und bleiben) wir sensibel.
Ich mag Menschen wie Dich. Sensible Menschen. Es sind diejenigen, vor denen ich mich nicht ängstigen muss und nicht schämen. Diese Erfahrung ist unschätzbar wertvoll.
Es ist gut, dass Du bist wie Du bist. Auch, wenn es so oft so schwer (zu ertragen) ist. Es macht die Schönheit Deines Charakters aus.
Viele liebe Grüße an Dich!
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Lieber sternfluesterer,
vielen Dank für deine Antwort und dein Verstehen. Der Kritiker gehört auch irgendwie zu uns dazu. Er hat eine wichtige Funktion, in dem er eben nicht alles einfach so hinnimmt. Ich möchte ihn auch nicht vollständig ablehnen oder verstummen lassen. Das wäre nicht sinnvoll! Er darf sich melden, er darf mir mitteilen, was ihn stört und ich versuche dann die Schärfe rauszunehmen und Kompromisse anzubieten. Das ist wirklich nicht einfach!
Ich freue mich immer, wenn du dich hier meldest 🙂
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Ich denke, das ist leider ein Teil von Depression. Bei „normalen“ Leuten sind solche Gefühle oft leitend, sie wollen nicht darüber reden, dann wechseln sie halt das Thema. Oft geschieht das wohl sogar unbewusst. Und es ist gut so. Doch wenn Gefühle laut und dröhnend werden können, wie bei Depression möglich, dann weiß man nicht mehr so recht, welchen man vertrauen kann. Sie sind solche Lausebengel, die Gefühle, würde man da allen nachgeben, würde man ja völlig hin und her geschleudert.
Man muss nicht alles aushalten, nur weil man „verrückt“ ist. Man darf auch Dinge nicht tun wollen und nicht tun, weil sie sich nicht gut anfühlen.
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Du schreibst „einfach sagen“ ? also „einfach“ ist meistens alles andere als das. Und das ist in Ordnung so. Dafür darf man im Nachhinein umso stolzer sein, wenn man sich trotzdem überwunden hat.
LG
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