Das könnte mein neues Motto werden oder auch entgegengesetztes Handeln (führt mich zum Ziel).
Seitdem ich aus der Klinik entlassen worden bin, hat mich die Depression wieder ganz gut im Griff. Ich bin antriebslos, kann mich zu nichts motivieren und empfinde nur sehr wenig Freude. Umso wichtiger ist es, mich selbst zu aktivieren.
Malen nach Zahlen für Erwachsene
Es war einer dieser Sonntag, an denen ich mich zu gar nichts aufraffen konnte. Ich lag auf dem Sofa und war mit meinem Zustand so dermaßen unzufrieden, dass es mich noch schlechter fühlen ließ. Mir war klar, dass nur ich alleine es in der Hand habe, der Depression etwas entgegenzusetzen. Also setzte ich mich an meinen Küchentisch, packte die Farben, den Pinsel und die Malvorlage aus, füllte etwas Wasser in einen Becher und legte los.
Jeder Pinselstrich war eine enorme Herausforderung, denn ich arbeitete nicht nur an dem Bild selbst, sondern auch ganz viel an meinen inneren Anteilen. Es machte erstmal überhaupt keinen Spaß. Die Farbe deckte nicht richtig, ich war ungeduldig und mein Perfektionist fand die Leistung mehr als scheiße. Hier eine Linie übermalt, dort die Farbe nicht gleichmäßig deckend aufgetragen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie oft ich in den ersten Stunden Tagen ans Aufgeben gedacht habe, weil ich es sowieso nicht gut hinbekommen würde.
ABER ich gab nicht auf. Ich machte einfach weiter – jeden Tag aufs Neue. Und es fing sogar langsam an, mir etwas Spaß zu machen. Ich lernte unter welchen Bedingungen sich die Farben gut auftragen lassen und wurde auch in der Pinselführung besser. Umso weiter mein Bild wuchs, umso entspannter wurde ich mit mir selbst. Das bedeutet nicht, dass die kritischen Stimmen verschwunden sind. Ich versuche nur, ihnen ein wenig Wind aus den Segeln zu nehmen.
Häkeln
Mit dem Häkeln mache ich zur Zeit ähnliche Erfahrungen. Als die Depression nach der Klinik wieder sehr viel Raum einnahm, sagte eine gute Freundin zu mir ich bräuchte eine Aufgabe, damit ich mich nicht rund um die Uhr nur mit mir selbst beschäftige. Als hätte das Schicksal diese Worte mitbekommen, sah ich noch am selben Tag eine Ankündigung für ein gemeinsames Häkelprojekt (Grinda MAL). Die perfekte Gelegenheit, evtl. die Freude am Häkeln wieder zu entdecken?!
Als die Wolle nach einer gefühlten Ewigkeit endlich bei mir ankam, druckte ich die Anleitung für die erste Woche aus und wollte eigentlich direkt loslegen. Eigentlich! Nach dem Lesen der Anleitung für die ersten Reihen verstand ich gerade mal die Hälfte und mit der Häkelsprache am Ende konnte ich genauso wenig anfangen. Man hätte mir auch chinesische Schriftzeichen hinlegen können. Trotzdem war ich noch relativ optimistisch, dass sich die Anleitung wie von selbst erklären würde, wenn ich denn mal loslege. Und packte die Wolle erst einmal zur Seite.
Zwei Tage später dachte ich mir „Mensch Annie, jetzt schnapp dir die Anleitung, nimm die Wolle in die Hand und leg ‚einfach‘ mal los!“. Ich hätte genügend Gründe Ausreden gehabt, weiter abzuwarten. Aber ich wollte meinen negativen Gedanken nicht zu viel Raum geben und habe dann schließlich ‚einfach‘ mal angefangen.
Die erste Frustration ließ nicht lange auf sich warten. Ich verstand die Anleitung nicht. In welche Masche muss ich stechen, wie soll das gehen, was bedeuten diese ganzen Abkürzungen? Ich war total überfordert und hätte gerne alles wieder weggepackt – bis in alle Ewigkeit. Gleichzeitig wollte ich es aber schaffen, meine Ungeduld auszuhalten, mir Fehler zuzugestehen und aus dieser Erfahrung zu wachsen. Ganz davon abgesehen, dass das Endprodukt unwahrscheinlich toll ausschaut!
Ich klagte einer guten Freundin mein Leid und sie half mir anhand einer Skizze, Häkelsprache zu lernen. Also ignoriere ich ab jetzt die schriftliche Anleitung und orientiere mich nur noch an dem beiliegenden Diagramm. Umso länger ich dran bleibe, umso besser werde ich. Mittlerweile erkenne ich sogar schon eine Art Muster und lerne neue Maschen.
Soziale Kontakte
Letztes Wochenende war ich von einer Freundin und ihrem Mann zu einem kleinen Event ihres E-Sport-Vereins eingeladen. Ich haderte sehr lange, ob ich zusagen soll oder nicht. Und mit einer Zusage ist es noch lange nicht getan, denn ich muss ja dann noch wirklich hinfahren.
Wie so oft hatte ich auch dieses Mal extrem viele ‚gute‘ Gründe nicht zu fahren. Es gibt keine gute Bahnverbindung, es ist viel zu warm, ich kenne dort niemanden außer meine beiden Freunde – was ist, wenn sie keine Zeit für mich haben?, eigentlich interessiert mich das Ganze überhaupt nicht, etc.
Gleichzeitig klangen mir die Worte meiner Bezugstherapeutin aus der Klinik im Ohr: „Sie müssen mutig sein und ins Handeln kommen! Es ist Ihre Entscheidung!“ Und ja verdammt, ich will mich nicht immer einschränken und vermeiden. Ich will neue Erfahrungen machen – ob positiv oder negativ, damit ich dazulernen kann
Es war kein Abend, der mich komplett vom Hocker gerissen hat, aber es war okay. Anfangs fühlte ich mich etwas verloren, weil meine Freunde wirklich wenig Zeit für mich hatten. Aber nachdem ich mich auf das Spiel einlassen konnte, wurde es besser. Ich lernte zwar niemanden näher kennen, aber das war auch gar nicht das Ziel. Letztlich zählt, dass ich hingefahren bin! Mich getraut habe! Entgegen aller Ängste und Befürchtungen!
Ihr seht, selbst Dinge, zu denen ich mich anfangs ‚zwingen‘ musste, können irgendwann ein wenig Freude (zurück-)bringen. Sie dürfen natürlich auch keinen Spaß machen. Dann habe ich immer noch die Option wieder aufzuhören und etwas anderes zu probieren. Im schlechtesten Fall habe ich eine Erfahrung gemacht, die mir zeigt, was mir gut tut und was nicht.
Was ich aus all dem lerne: Solange genügend Energie vorhanden ist, sollte ich jedes Mal aufs Neue testen, was mir helfen könnte aus einem schwierigen emotionalen Zustand herauszukommen. Selbst wenn es bedeutet, mich erst einmal überwinden zu müssen.
Wie ist das denn bei euch? Schafft ihr Dinge (Aufgaben, Hobbies, Treffen, etc.), die euch ängstigen oder wozu ihr keine Motivation habt, trotzdem zu tun? Selbst wenn es erstmal keinen Spaß macht, weil euch die Depression total im Griff hat? Wie könnt ihr während des Prozess des Machens noch gut für euch selbst sorgen?
Das habe ich bisher noch nicht geschafft, etwas zu beginnen, wozu ich gar keine Lust habe und dann dranbleiben. Meine Hochachtung!
Bei mir ist es immer so, dass ich mir immer Dinge überlege, wo ich mir denke, dass sie mir Spaß machen könnten. Meist ist es aber dann so, dass ich nach kurzer Zeit wieder aufgebe, keine Lust, kein Antrieb, aĺles doof.
Das Einzige, was mich wirklich interessiert, was geblieben ist, mir immer wieder Freude bringt, ist das Fotografieren. Es hat auch ganz viel mit Achtsamkeit zu tun. Ich kann die Welt um mich herum vergessen, wenn ich die Kamera in der Hand habe. Dabei ist es (noch?) Eine reine Zufallsknipserei.
Aber es ist gut, was du tust, ich wünschte, ich könnte das auch, das Dranbleiben.
Liebe Grüße
Weena
LikeLike
Liebe Weena,
ich fange natürlich auch nur diese Dinge an, von denen ich weiß, dass sie mir schon einmal Spaß gemacht haben. Es bringt nichts, mich zu etwas zu zwingen, was mir total zuwider ist. Dabei ist eine gute Selbstfürsorge sehr wichtig! Es ist okay, wenn du nach einiger Zeit wieder abbrichst. Ich bin mit meinen Hobbies auch sehr sprunghaft, aber zuerst zählt das Anfangen und die kurzzeitige Freude (falls sie auftaucht). Für mich klingt es so, als hättest du das mit der Fotografie bereits gefunden!
Viele liebe Grüße von Annie
LikeLike
Hallo Annie,
in so einer Phase habe ich gerade monatelang gesteckt und kann gut nachvollziehen, wie Du Dich im Augenblick fühlst.
Nachdem ich meinen engeren Freunden schon vor längerer Zeit erklärt hatte, dass ich es manchmal eben doch nicht schaffe, die Kraftlosigkeit abzuschütteln (und ich das Gefühl habe, sie haben es auch verstanden), nimmt das für mich viel Druck weg. Ich kann an einem guten Tag zusagen, weil ich mir das Event zutraue und wenn ich dann einen super schlechten Tag habe und nicht aus dem Haus kann, dann kann ich problemlos auch im letzten Moment absagen, ohne dass jemand sauer auf mich ist. Oder ich komme nur kurz zu einer Veranstaltung und zum „trinken wir danach noch was“ sage ich dann nein und sie verstehen es. Das hilft mir, leichter ja zu sagen, weil die „Verpflichtung“, die ich damit eingehe, nicht so hoch ist.
Auch wenn’s keinen Spaß macht, wenn ich etwas unternehme, weiß mein Kopf doch, dass es ein schönes Event war. Ich fühle es nur nicht. Also lasse ich den Kopf entscheiden und es als positiv verbuchen. Das ist mein Beitrag, um gesund zu werden. Also mache ich trotzdem, selbst wenn ich keine Lust dazu habe und es auch keinen Spaß bringt.
Manchmal habe ich das Gefühl, ich ruiniere mir meine Hobbies damit. Denn wenn ich mich widerwillig und ohne Spaß zum Fotografieren zwinge, werde ich das irgendwann mit einem negativen Gefühl und Zwang verbinden und das Hobby nicht mehr ausüben wollen. Deshalb mache ich immer das, was den geringsten Widerwillen bei mir hervorruft. Und mein Kopf weiß auch, dass der Spaß am Fotografieren zurückkommen wird.
Und dass ich es nicht gleichzeitig schaffe, einen Abend außer Haus zu verbringen UND mein Geschirr zu spülen etc., das ignoriere ich.
Außerdem mache ich meistens Dinge, die man in kurze Episoden aufteilen kann und ich nach jeder eine Pause machen kann oder abbrechen (ich häkele kleine Sechsecke, die jedes nicht lange brauchen, die aber am Ende eine riesige Decke ergeben – ich schaue nur auf die Sechsecke und hab die große Decke nicht im Kopf). Keine Dinge, die lange Vorbereitung brauchen, weil ich bei denen oft schon aufgebe. Mit solchen Tricks hangele ich mich durch.
Und ich stelle in den letzten Tagen und Wochen fest, dass ich sie immer weniger brauche, denn die Hartnäckigkeit der letzten Monate scheint sich gelohnt zu haben und es geht mir endlich besser. Ich hoffe, Du kommst auch bald (wieder) an diese Punkt!
Und sorry für diesen Roman hier …
Liebe Grüße
Gabi
LikeLike
Liebe Gabi,
die Sache mit dem Absagen – ich bin da sehr ambivalent. Ich habe für mich festgestellt, dass es mir hilft feste Zeiten und Zusagen zu haben. Das gibt mir Sicherheit und Struktur. Jetzt kommt es natürlich auch vor, dass ich schon kurzfristig abgesagt habe. Aus den fadenscheinigsten Gründen. Und eigentlich ist das unter Freunden vollkommen okay, denn jeder Tag ist anders. Gleichzeitig mag ich es überhaupt nicht. Mich macht es wütend, wenn ich am selben Tag sitzen gelassen werde, obwohl ich es verstehen kann.
Deine Strategie mit den kleinen Schritten finde ich super. Zum Beispiel eben nur kurz mal hingehen, schauen und wenn es passt, kannst du bleiben oder eben auch nicht. Es ist eine Option, denn zurück zum Ursprungszustand geht ja immer wieder. Dazu möchte ich auch noch einen Beitrag verfassen, denn meine Bezugstherapeutin aus der Klinik hat mir eine ganz neue Sichtweise damit verschafft.
Übrigens: ich fühle mich auch schon überfordert Haushalt und Verabredung zu schaffen. Leider habe ich ein sehr schlechtes Gewissen, wenn ich die Küche liegen lasse, aber dafür nach draußen gehe. Dabei läuft es ja nicht weg und ich sollte tun, was mir gut tut. Gar nicht so einfach!
Viele Grüße von Annie
LikeLike
Hallo Annie,
ich leide auch unter sozialen Ängsten. Deshalb hat es mich sehr gewundert, dass Du Sozialarbeiterin bist uns somit zwansgläufig mit vielen und immer wieder neuen Menschen zu tun hast. Ich fühle mich besonders in Menschengruppen unwohl. Ich habe daher für mich festgestellt, dass es mich belastet zu Feiern von Kollegen zu fahren und ich mich hinterher oft schlechter fühle. Ich lebe „auf dem Land“. Hier fehlt mir aber einfach die Möglichkeit mich mit Menschen auszutauschen, die auch unter Depressionen und sozialen Ängsten leiden. So bin ich auch über der twitter seite von „not just sad“ hier bei Dir gelandet.
Ich wünsche Dir und allen Leidensgenossen alles Gute!
Liebe Grüße
„Tauriel“
LikeLike
Liebe Tauriel,
vielen Dank für deinen Kommentar und es freut mich, dass du hierher gefunden hast. Ich glaube mittlerweile, dass die Diagnose „soziale Phobie“ nicht mehr umfänglich auf mich zutrifft. Zur Zeit steht eine „ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung“ im Raum, die aber noch abgeklärt werden muss. Ich hoffe bald einen Termin für die Diagnostik zu bekommen. Die Fragebögen habe ich bereits in eine Spezialambulanz abgeschickt. Seltsamerweise betrifft meine soziale Angst mehr mein privates Umfeld als meinen beruflichen Kontext. Sie ist dort zwar nicht abwesend, aber ich bin durchaus in der Lage professionell zu handeln und ‚anders‘ aufzutreten als privat. Wenn ich andere Menschen – auch Freunde – bei Dingen wie Telefonate oder Ämtergänge begleiten soll, ist das überhaupt kein Problem. Nur für mich selbst – Panik!
Du schreibst du fühlst dich besonders in Menschengruppen unwohl. Wie ist das denn mit einzelnen Personen? Gäbe es bei euch im näheren Umkreis evtl. die Möglichkeit zur Selbsthilfe zu gehen?
Viele Grüße von Annie
LikeLike
Liebe Annie,
erstmal ganz herzlichen Dank für Deine aussagekräftige Antwort!!! Einfach toll, wenn es jemanden gibt, dem man seine Situation schildern kann, der auch solche Probleme kennt.
Es ist ja sehr gut, dass Du beruflich nicht so stark durch Ängste eingeschränkt wirst und im beruflichen Kontext damit klar kommst.
Mit Einzelpersonen finde ich es leichter umzugehen. Aber das kommt es auch immer auf meine Gesamtverfassung an. An eine Selbsthilfegruppe habe ich auch schon gedacht – aber hier in der Nähe gibt es keine bzw. man müsste über die Kreisverwaltung anfragen und das finde ich schon etwas befremdlich.
Ich habe ja erst kürzlich Deinen Block entdeckt und ich glaube, es hilft auch schon etwas Deine Beiträge und die Deiner Besucher zu lesen.
Jedenfalls nochmals vielen Dank, dass Du mir geantwortet hast : )
Liebe Grüße
Tauriel
LikeLike
Liebe Tauriel,
gibt es in eurer Umgebung eine Selbsthilfekontaktstelle, an die du dich anonym wenden kannst? Ansonsten gibt es auch einige online Möglichkeiten um Gleichgesinnte zu treffen. NAKOS hilft bei der Vermittlung in Selbsthilfegruppen. Schau doch dort mal vorbei!
Viele Grüße von Annie
LikeLike