auf dem Weg der Psychotherapie
Depression

Therapieverlängerung

Als ich das letzte Mal bei meiner Therapeutin war, sprachen wir über die Verlängerung meiner Psychotherapie. Uns bleiben noch ca. 6-7 Sitzungen bis meine bewilligten Stunden aufgebraucht sind. Es ist unglaublich, wie schnell die Zeit vergangen ist. Meine Therapeutin hatte es geschafft, auf einen Schlag 45 Sitzungen – eine Langzeittherapie bei Verhaltenstherapie – durchzubringen. Der Standard für den ersten Antrag liegt bei 25. Ich frage mich jedoch, welche psychische Erkrankung in so kurzer Zeit ‚abgehandelt‘ werden kann.

Damit wir weitere 15 Sitzungen von der Krankenkasse genehmigt bekommen, muss meine Therapeutin einen ausführlichen Bericht schreiben. Aus diesem sollte hervorgehen, was ich bereits in der Therapie geschafft habe und wieso wir weitere Sitzungen benötigen. Ich hatte also seit Dezember die Aufgabe, mir darüber Gedanken zu machen, welche Themen ich noch konkret angehen will.

Wenn ich nun aktiv darüber nachdenke, was ich in Zusammenarbeit mit meiner Therapeutin geschafft habe, fällt mir im ersten Augenblick überhaupt nichts ein. Natürlich hat sich in den letzten anderthalb Jahren eine Menge in meinem Leben verändert – ich bin in eine komplett neue Lebensphase getreten.

Ich habe mein Studium erfolgreich beendet, meine einjährige Arbeitslosigkeit ausgehalten und arbeite seit Oktober ohne Fluchttendenzen in meinem erlernten Beruf. Um ehrlich zu sein, hätte ich niemals für möglich gehalten, so weit in meinem Leben zu kommen.

Gleichzeitig halten meine depressiven Einbrüche nicht mehr so lange an. Manchmal, wie z.B. an meinem ersten Arbeitstag, schaffe ich es sogar die ’negative‘ Energie in Kraft zu verwandeln. Dabei spielte meine Therapeutin auch eine wesentliche Rolle. Sie war für mich verfügbar, obwohl wir eigentlich in Therapiepause waren und half mir die Situation anders zu bewerten, als ich es normalerweise tu. Alleine schaffe ich es noch nicht. Sie ist so etwas wie die Hand an meinem Fahrrad, von dem gerade die Stützräder abmontiert worden sind.

Ich war etwas enttäuscht, als sie mir nochmals meine Ziele vom Beginn unserer gemeinsamen Zusammenarbeit vorlas. Meine spontane Reaktion war „Davon habe ich ja noch gar keins umgesetzt…“

Ich möchte meine Gefühle besser wahrnehmen können
Das klappt nicht immer, wie ich es gerne hätte. Manchmal staut es sich bis zur inneren Explosion an. Dabei muss es sich nicht um Wut oder Frust handeln, auch meine Traurigkeit kann implodieren.

Ich möchte lernen, mit meinen depressiven Phasen besser umzugehen
Das ist ein ständiger Lernprozess schätze ich. Sobald ich drinstecke, überfluten mich die negativen Gedanken, so dass es echt schwer ist, dagegen zu halten. Gefühle wie Hoffnungslosigkeit, Antriebslosigkeit, Freudlosigkeit etc. lähmen mich, auch wenn ich weiß, es geht wieder vorbei. Frühwarnzeichen erkennen lernen würde mir schon etwas helfen.

Ich möchte von meinen Eltern emotional unabhängig werden
Das ist wirklich noch ein Thema, welches für mich im Mittelpunkt stehen wird. Ich muss es einfach angehen, denn es schränkt mein (Gefühls-)Leben so enorm ein. Meine Therapeutin meinte, es wird jetzt sicherlich einfacher, da ich durch die Arbeit zumindest schon einmal eine finanzielle Unabhängigkeit erreicht habe. Für mich ist es dennoch ein riesiger Geröllhaufen, der von meiner Seele Stück für Stück abgetragen werden muss.

Ich möchte ein gutes Verhältnis zu meinem Bruder aufbauen
Seltsamerweise kann ich mich an dieses Ziel gar nicht mehr erinnern. Es ist mir ehrlich gesagt auch nicht mehr wichtig, ob ich ein ‚wie-auch-immer-geartetes‘ Verhältnis zu ihm aufbaue. Ein Teil von mir hat die Hoffnung darauf längst aufgegeben…

Wie ihr seht, steht mir selbst nach dieser ersten Phase meiner Therapie, noch einiges an Arbeit bevor. Ehrlich gesagt habe ich ein wenig Angst, dass die 15 zusätzlichen Stunden nicht ausreichen werden. Für mich wirken sie gerade wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Gleichzeitig vertraue ich meiner Therapeutin schon so sehr – und weiß es auch -, dass sie mich nicht einfach fallen lassen wird, sollte ich weitere Unterstützung benötigen.

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6 Gedanken zu „Therapieverlängerung“

  1. Therapie braucht Zeit, und wie Du selber siehst sind manchmal die Baustellen viel wichtiger, an die wir nicht sofort denken.
    Ansonsten kann ich Dich beruhigen, mit mir ist alles in Ordnung, mir war nicht klar wie der Spruch ohne den zugehörigen Comic wirkt (schäm…)

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    1. Liebe Julia,
      ich bin ja nicht ganz therapieunerfahren. Seit 2006 bin ich immer mal wieder in Begleitung, aber du hast ganz Recht – alles braucht seine Zeit. Am Anfang ging es noch darum herauszufinden, was überhaupt mit mir los ist, heute geht es mir eher um das Bewältigen meines Alltags. Danke für den Hinweis 😉 Ich war etwas beunruhigt, als du das auf deinem Blog geschrieben hast!!
      Sonntagsgrüße von Annie

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  2. Hallo Annie,
    ich denk auch, dass Du schon so einiges geschafft hast. Das weitere Bewältigen wird dann immer ein bissel besser. Das wünsche ich Dir jedenfalls von Herzen. Klopf Dir ruhig auch mal auf die Schulter.
    LG Hans

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    1. Lieber Hans,
      ich bin mir irgendwo weit hinten im Kopf bewusst, dass ich schon einiges erreicht habe. Mich selbst zu loben fällt mir jedoch immer noch schwer. Wenn ich auf der Arbeit gute Leistung bringe, geht das viel einfacher als bei persönlichen Dingen.
      Annie

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