Antidepressiva sind kein Wundermittel
Depression

Antidepressiva – (k)ein Wundermittel

Mich plagen mal wieder Kopfschmerzen – ausgerechnet an meinem freien Tag. Vorhin saß ich zur vierteljährlichen Kontrolle bei meiner Psychiaterin. Ich mag diese Termine nicht. Daher versuche ich sie so oft wie möglich einfach ‚zu vergessen‘. Das mag wiederum meine Psychiaterin nicht. Keine wahrgenommenen Termine, kein rosa Zettelchen für die Medis. Genau DAFÜR brauch‘ ich sie jedoch!

Manchmal wünschte ich mir, ich hätte niemals mit Antidepressiva angefangen. Aber damals – es sind erschreckenderweise schon 9 Jahre – waren sie der einzigste Lichtblick in einer sehr düsteren Zeit.

Mein damaliger Psychiater probierte zuerst einen gewöhnlichen Wirkstoff, der vielen Depressionserkrankten verschrieben wird – ein Selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, abgekürzt SSRI. Dieser bewirkt, dass die Rezeptoren, die für die Aufnahme von Serotonin zuständig sind, blockiert werden. Dadurch verbleibt der Botenstoff länger im Gehirn (um genau zu sein im synaptischen Spalt), was wiederum zur Aufhellung der Stimmung beitragen soll.

So weit die Theorie…

Wie bei vielen anderen Menschen mit Depressionen, schlug es bei mir überhaupt nicht an. Es trat nicht einmal der Placeboeffekt ein, obwohl ich damals noch vollstes Vertrauen und Hoffnungen hatte. Während eines Aufenthalts in einer Tagesklinik, stellte mich der zuständige Psychiater dann auf ein SNRI (Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer) um. Ein ‚Teufelszeug‘, welches dort standardmäßig bei geschätzt jedem Zweiten eingesetzt wurde.

Dieses Medikament hemmt nicht nur die Wiederaufnahme von Serotonin sondern auch von Noradrenalin. Damit soll zusätzlich der Antrieb gesteigert werden. Die ersten Wochen der Einnahme war ich laut meiner damaligen Mitbewohnerin (und guten Freundin) wie auf Droge, was ich selbst gar nicht richtig bemerkte. Es fühlte sich eher etwas nebulös an – leicht neben mir. Zum Glück verging diese Nebenwirkung wieder und es trat sogar eine Wirkung ein.

Ich wurde stabiler, d.h. meine ups and downs waren weniger stark ausgesprägt, und ich war nicht mehr so antriebslos/erschöpft wie zuvor. Ob diese Wirkung wirklich auf das Medikament zurückzuführen ist, bleibt fraglich – schließlich wissen noch nicht einmal die Wissenschafler wie/warum Wirkung A bei Person X oder Wirkung B bei Person Y zustande kommt.

Leider hat mich niemand darüber aufgeklärt, wie schwer es ist, wieder von den Tabletten loszukommen. Antidepressiva gelten zwar als ’nicht abhängig machend‘ – es wird jedoch selbst in der Packungsbeilage offen über Absetzsymptome gesprochen. Wie passt das zusammen? Jeder Körper reagiert unterschiedlich auf die Reduktion, aber in vielen Fällen kommt es zu starken ‚Entzugserscheinungen‘.

In den letzten Jahren habe ich mehrmals versucht mein Medi auszuschleichen und landete letztlich immer wieder bei meiner Ausgangsdosis. Meine Ärzte dachten sie würden richtig handeln, in dem sie die Dosis in regelmäßigen Intervallen jeweils um die Hälfte reduzierten. Mein Körper fand das ganz und gar nicht lustig. Ich hatte Kopfschmerzen, wurde extrem geräuschempfindlich und bekam starke Stimmungsumbrüche.

Dabei bin ich mit diesen Symptomen noch relativ gut dran, wenn ich mir die Erfahrungsberichte von anderen Ausschleichern durchlese/anhöre. Nach und nach sammelte ich mir Informationen zusammen. Dabei entdeckte ich das Forum von ADFD – eine private Initiative von Betroffenen und Angehörigen. Mithilfe dieser erfahrenen Leute begann ich im Oktober 2015 einen weiteren Versuch.

Diese Mal jedoch in ‚Schneckentempo‘. Alle 4-8 Wochen reduzierte ich um maximal 10% meiner vorherigen Dosis. Das bedeutete Vorbereitung und Improvisation. Meine Kapseln beinhalteten zum Glück ganz viele kleine Kügelchen – es waren eine Menge!!! (ca. 600 Stück). Ich wurde fast verrückt, aber kämpfte mich tapfer durch das Abzählen. Schließlich musste ich ja wissen, wieviel ich rausnehmen darf, bevor die Kapsel wieder verschlossen wurde.

Wenn ich Krisen hatte, körperlich nicht fit oder emotional instabil war, wartete ich einfach etwas länger mit dem nächsten Schritt, denn schließlich kommt es auf ein paar Wochen nach den ganzen Jahren auch nicht mehr an. Bisher klappt es ohne großartige Beschwerden.

Seit diesem Sommer bin ich auf der Hälfte meiner ursprünglichen Ausgangsmenge!!! Das ist ein Meilenstein, auf den ich wirklich stolz bin. Zur Zeit halte ich diese Dosierung bei, weil durch die Aufnahme meiner Arbeit eine ganz neue Lebenssituation entstanden ist, in der ich mich zuerst festigen muss.

Zurück zu  meiner Psychiaterin. Wieder einmal habe ich 1 Stunde für 5 Minuten im Sprechzimmer gewartet. Wieder einmal frage ich mich, was ich hier eigentlich mache?! Sie ist nicht die Person, der ich meine Höhen und Tiefen, meine Irrwege, Fragen, Gedanken und Gefühle anvertraue – sie soll einfach nur ihr Autogramm auf das rosa Zettelchen setzen.

Bis zum nächsten Mal in drei Monaten

….und irgendwann hoffentlich gar nicht mehr!!!

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6 Gedanken zu „Antidepressiva – (k)ein Wundermittel“

  1. Hmmh… 5 Minuten, das würde ich mir sparen. Was bringt dir das Gespräch denn? Das sollte man sich schon überlegen. Ist es schwierig den Arzt zu wechseln?

    Wir hatten ja schon mal einen Austausch dazu, lebenslang Antidepressiva nehmen, das kann ja nicht das Zeil sein, an erster Stelle steht doch die Therapie. Es gibt sehr viele pflanzliche Wirkstoffe, die sehr erfolgsversprechend sind, dafür braucht man dann aber einen anderen Arzt bzw. Heilpraktiker. Hast du TCM schon einmal versucht?

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    1. Liebe Bee,
      da ich noch ihre Rezepte brauche, bis ich das Zeug aus meinem Körper raus habe, werde ich weiter zu ihr gehen. Das hat auch nichts mit ihr als Person zu tun, sondern einfach, dass ich für Reden meine Therapeutin habe. Für mich ist sie nur ein dreimonatiges Übel, welches mir ein rosa Zettelchen mitgibt 🙂
      Annie

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  2. Meine Hausärztin nannte das „Gesichtskontrolle“ – der vorgeschriebene Termin, zu dem man antreten musste, um seine Medikamente weiter zu bekommen …
    Bei ihr ging es um ein Schilddrüsenmedikament, von dem absolut klar ist, dass ich es Zeit meines Lebens werde nehmen müssen. Ziemlich albern …
    Zur Psychiaterin musste ich natürlich auch, allerdings war das Verhältnis zu ihr – obwohl sie nicht meine Therapeutin war – angenehm und vertrauensvoll.
    Der Vorteil von Serotonin Wiederaufnahmehemmern scheint mir zu sein, dass man sie tatsächlich relativ leicht wieder absetzen kann. Jedenfalls war das bei mir so.
    Aber wenn sie bei Dir gar nicht erst gewirkt haben, nutzt das natürlich auch nix …
    Ich wünsche Dir viel Kraft und Durchhaltevermögen beim Runterdosieren!

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    1. Liebe Schattentaucherin,
      mit meinem Schilddrüsenmedikament habe ich Glück. Theoretisch muss ich nur ein bis zwei Mal pro Jahr zu Blutabnahme. Ich lasse es aber freiwillig etwas häufiger testen. Für mich sind die Termine einfach nur lästig. Sicherlich muss sie mich sehen, damit es keine Probleme mit der Krankenkasse gibt. Eigentlich könnte sie von mir aus ruhig abrechnen, ohne dass ich da war 😀 Immerhin nehme ich die Tabletten lang genug – da gibt es selten Überraschungen!
      Danke für deine Wünsche – Kraft kann ich wirklich gut gebrauchen.
      Annie

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  3. Oh, wie gut ich dich verstehe! Ich habe im letzten Jahr mein (anscheinend recht niedrig dosiertes) Antidepressiva schleichend abgesetzt und hatte dabei schon krasse Entzugssymptome. Ich hatte auch immer mehrere Wochen, bevor ich eine weitere 1/4 Tablette weg ließ. Und jedes Mal waren die ersten Tage bis etwa 2 Wochen nach der Reduzierung krass. Mittlerweile bin ich seit etwas über einem Jahr ohne Tabletten und habe erst einmal überlegt, wieder welche zu nehmen, als es mir diesen Sommer recht scheiße ging. Zum Glück habe ich es ohne Tabletten aus dem Tief geschafft.
    Ich finde es sehr stark von dir, dass du es immer weiter versuchst, von den Kapseln runterzukommen! Viel Kraft und innere Stärke für die kommenden Wochen und Monate :-*

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    1. Liebe Frauke,
      dann weiß du ja sehr gut, wovon ich spreche, wenn ich Entzug meine. Sicherlich ist ein Entzug von harten Drogen und Alkohol ‚anders‘, aber die Absetzsymptome sollten keinesfalls unterschätzt werden. Viele Ärzte tun sie als lächerlich ab. Dabei wissen wir alle doch am besten, wie es unserem Körper geht.
      Schöne Grüße von Annie

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