Borderline, Depression

Unkontrollierbare Anspannung

Heute ist ein Tag, den ich am liebsten in die nächste Mülltonne klatschen möchte. Nachdem ich bei der Vorbereitung auf mein morgiges Vorstellungsgespräch bemerkt habe, dass es sich um genau DEN Bereich handelt, den ich für mich ausschließe, lief mein emotionales Innenleben Amok.

Erst war ich total angepisst, weil ich nicht richtig nachgeprüft hatte, für welchen Bereich die Ansprechpartnerin zuständig ist – wofür gibt es schließlich das Internet?! Okay, ich bin mir sicher auf der Seite des Trägers gewesen zu sein, aber wieso habe ich etwas so wichtiges links liegen lassen? Aus der Anzeige ging leider nicht genau hervor, worum es sich bei der Stelle handelt. Allerdings hätte ich es spätestens auf der Einladung zum Gespräch sehen MÜSSEN!!!

Dann kamen meine Gedanken erst so richtig in Fahrt…

Soll ich das Gespräch absagen? Was bringt es denn hinzugehen, wenn ich DIESE Stelle in DIESEM Bereich überhaupt nicht haben möchte? Nur, wenn ich absage, denken sie doch sicherlich ich hätte die Stellenanzeige nicht richtig gelesen oder mich nicht mit dem Träger auseinandergesetzt! Vielleicht geh ich einfach nicht hin!? Nur was denken dann meine Betreuer bei der Frauenakademie von mir? Ist es nicht typisch für mich zu fliehen? Ich wette meine Bewerbungscoach möchte, dass ich gehe – ABER ich gehe nicht, wenn ich nicht WILL (bockige, kleine Annie lässt grüßen).

Irgendwann gesellte sich noch der Gedanke dazu, aufgeben zu wollen – einfach loslassen. Nichts mehr denken, nichts mehr müssen – nur Sein! Natürlich ist das absoluter Quatsch – als könnte ich mal eben so meinen Kopf abstellen.

Meine Bewerbungscoach bekam dann auch bei unserem Einzelgespräch eine Menge Trotz der kleinen Annie ab. Ich sträubte mich gegen ihren, von mir bereits vermuteten Vorschlag, das Gespräch als Übung zu nutzen. Doch irgendwo ganz hinten in meinem Kopf sprach plötzlich die ‚erwachsene‘ Stimme „Ruf doch einfach nochmal an, frag genauer nach und kläre Alternativen“.
Meine Coach war begeistert – ich eher weniger.

Trotzdem nahm ich meinen Mut zusammen und rief an. Ich besiegte Wut, Trotz und Angst – danke für den Stubser Stoß von außen.

Beschwingt von diesem positiven Ergebnis erledigte ich noch zwei weitere Telefonate wegen Initiativbewerbungen und erhielt prompt positive Rückmeldungen. Also ging ich voller Tatendrang zurück in unseren EDV Raum, damit ich direkt meine Unterlagen abschicken konnte. Jede Chance sollte genutzt werden!

Beim Tippen der E-Mail meinte die Dozentin auf einmal in einem barschen Tonfall: „Das geht jetzt nicht, das stört!“
Klar, ich haue auch jede Taste extra laut an, nur um sie zu stören.
Von jetzt auf gleich stieg meine innere Anspannung wieder ins Unermessliche – da kam ich gar nicht mehr hinterher. Ich stand von meinem Platz auf und versuchte so ruhig wie möglich zu sagen „Für mich sind diese Bewerbungen gerade wichtiger!“
Ihre Antwort: „Der Unterricht ist mit Frau XY so abgesprochen!“
Ich: „Gut, ich kläre das dann mit Frau XY!“

Zum besseren Verständnis der Situation muss ich anfügen, dass es ihre Aufgabe ist, uns (kaufmännisches) Wissen in Word (z.B. Adressblock nach DIN-Norm) zu vermitteln. Für mich ist das jedoch total irrelevant, weil ich 1. dieses Wissen bereits in meiner Ausbildung gelernt habe und 2. eine Stelle im sozialen Bereich suche.

Die anderen Teilnehmer guckten mich mit großen Augen an und ich sah schon ihre Gedanken auf den Gesichtern

Was erlaubt sie sich? Was ist denn mit der los? Sie kriecht den Sozialarbeitern total in den Arsch und bekommt eine Extrabehandlung. Kann die nicht einfach normal mitmachen?

Ich weiß, dass es reine Spekulationen sind – alte Dämonen, die immer mal wieder aus ihren dunklen Ecken kriechen.

In dem Moment, in dem ich den Raum verlassen wollte, setzte die Dozentin nochmal an – ich vermute sie wollte mir einen Vorschlag machen. Da ich jedoch am Rande eines unkontrollierbaren Wutausbruchs stand, bin ich einfach gegangen, bevor ich noch ausfallend geworden wäre. Sobald sich die Tür hinter mir schloss, liefen die Tränen – vor Wut? vor gefühlter Ungerechtigkeit?

Mein erster Gang war nach draußen auf die Schaukel – Kopf in die Sonne halten und Tränen fließen lassen. Die ganzen Gefühle kanalisieren. Ein Teil bekam dann noch meine Sozialarbeiterin ab, doch sie holte mich aus der Spirale, in dem sie mich immer wieder fragte „Wie kann eine Lösung aussehen?“
Klein Annie wollte bocken, die große Annie eine vernünftige Lösung. Da prallen Welten aufeinander!

Nachdem ich meiner Sozialarbeiterin mitgeteilt hatte, dass ich JETZT gerne noch diese zwei Bewerbungen abschicken möchte, organisierte sie mir einen EDV Raum, in dem ich in Ruhe arbeiten konnte.

Natürlich stellt sich mir nach diesem ganzen Tohuwabohu die Frage, wie ich mit solchen Gefühlsausbrüchen im Arbeitsleben umgehen soll. Bin ich überhaupt fähig eine gewisse emotionale Stabilität für den normalen Alltag zu entwickeln? Ich weiß noch keine Lösung für diese unkontrollierbaren Zustände – trotzdem mag ich die Hoffnung nicht aufgeben, an und mit mir zu lernen.

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4 Gedanken zu „Unkontrollierbare Anspannung“

  1. Als ich deinen Text gelesen habe, fielen mir spontan einige frühere Arbeitskollegen und Vorgesetzte von mir ein, die bei jeder Kleinigkeit einen heftigen emotionalen Ausbruch hatten. Und diesbezüglich aber zu keinerlei Selbstreflektion in der Lage waren.

    Ich denke, es ist unmöglich, sich den Maßstab zu setzen, in der Arbeitswelt nicht ab und zu einen emotionalen Ausbruch zu haben. Es kommt darauf an, wie man damit umgeht. Und ich finde, du hast in dieser Situation sehr gut reagiert. Du bist für dich eingetreten, ohne Jemanden anzugreifen, hast dir einen Moment Pause genommen und schließlich eine Lösung für alle gefunden.

    Gib die Hoffnung nicht auf!

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    1. Liebe Alice,
      zum Glück reagiere ich nicht jeden Tag und auch nicht auf jede Kleinigkeit so krass. Vor allem bin ich echt stolz nicht ausgerastet zu sein, sondern mich so gut es ging aus der Situation gezogen zu haben. Ich versuche auf meine Gefühle zu hören, versuche meine Bedürfnisse zu erkennen, nur es selbstbewusst mitteilen klappt noch nicht. Danke für dein Lob! Es wird sicherlich noch besser werden, ich bin nur zu ungeduldig. Kennst du sicherlich?!
      Annie

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  2. Liebe Annie,

    ich schließe mich Alice an, ich denke auch, dass man das Ganze besser in den Griff bekommen kann und es zum Anderen sicher nicht immer 100 Prozent vermeidbar sein wird, du dann aber anders damit umgehen kannst. Und wenn es doch mal passieren sollte: Das ist sehr menschlich.

    Ich kenne diesen Widerspruch zwischen erwachsenen und kindlichen Anteilen auf ein anderes Thema bezogen gut, das (befürchtete) Verlassenwerden. Die Erwachsene in mir weiss z.B., dass eine länger ausbleibende, versprochene Rückmeldung einer Freundin oder eines Familienmitgleids nicht bedeutet, dass mich derjenige nicht mehr mag und den KOntakt abbrechen will, das Kind ist diesen rationalen Argumenten nicht iimmer in dieser Form zugänglich …

    Ich schließe mich also dem Üben an 🙂

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    1. Liebe Nelia,
      vielen Dank für deinen Kommentar. Ich weiß, dass ich an der Praxis wachsen werde. Je häufiger so etwas passiert und ich angemessen damit umgehe, umso weniger fühle ich das Chaos im Inneren (hoffentlich). Zur Zeit bin ich noch in einem mehr oder weniger geschützten Umfeld, aber falls ich Arbeit finde, dann wäre ein Wutausbruch nicht gerade angebracht.

      Vielleicht müssen unsere inneren Kinder auch gar keine rationalen Argumente verstehen, vielleicht ist es viel wichtiger ihnen Sicherheit und Zuwendung zu geben?

      Herzliche Grüße von Annie

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