Vor einigen Tagen habe ich auf meiner Facebook Seite ein Video im Comicstil über Depression und Angststörung geteilt. Eine junge Frau wird von zwei großen, kugelrunden Figuren daran gehindert, völlig alltägliche Dinge zu verrichten. Sie lassen sie morgens nicht aus dem Bett kommen, rauben ihr sämtliche Energie und Motivation und flüstern ihr paranoide, negative Gedanken ein. Depression und Angststörung sind eingespielte Teamplayer – durch die Augen der Frau sind sie unbezwingbare Gegner, die sich nur mit einem Ziel in ihrer Wohnung eingenistet haben: sie wollen herunterziehen.
Doch manchmal, vielleicht sogar urplötzlich, beschließen Depression und Angststörung in Urlaub zu fahren. Für die junge Frau ist es wieder Zeit, in ihr Leben einzutauchen und Kraft zu tanken. Jedoch weiß sie nie genau, wann ihre beiden Gegner wiederkommen. Deshalb bereitet sie sich Tag für Tag auf den nächsten Kampf vor.
Wie ich schon auf Facebook schrieb, gefällt mir das Video als erste Informationsquelle für Außenstehende gut. Jedoch möchte ich nicht hinnehmen, meine Depression als übermächtigen Gegner zu sehen, den ich unaufhörlich bekämpfen muss – selbst dann, wenn ich keine Chance habe.
Ganz zu Beginn meiner psychischen Erkrankung war die dunkle, schwere Phase, die mir jegliche Kraft entzog, auch ein Gegner, vor dem ich jeden Tag Angst hatte. Er kam. um mich zu zerstören – mir alles Glück und jede Freude dieser Welt zu nehmen.
Damit ich etwas oder eher gesagt jemanden für diesen Zustand beschuldigen konnte, ging ich mit allen Kräften gegen mein inneres Kind vor. Ich wollte ihre starken, traurigen Gefühle, die mich hilflos werden ließen, nicht wahrnehmen – und schon gar nicht akzeptieren. Also kämpfte auch ich, um die kleine Annie für immer zum Schweigen zu bringen. Natürlich war das ein sinnloses Unterfangen.
Meine Gastmutter aus den USA sagte mir einmal, dass ich jedes Gefühl wahrnehmen und willkommen heißen soll. Frei nach dem Motto: „Hallo Depression, es ist schön, dass du da bist. Komm doch herein und trink einen Tee mit mir. Vielleicht plaudern wir auch ein bisschen, aber danach wirst du wieder gehen.“
Dabei geht es darum, die Kontrolle über die Situation zu behalten und sich nicht vollkommen von dem Mix aus Emotionen überrollen zu lassen.
Total bekloppt, dachte ich im ersten Moment. Jedoch war mir genauso klar, dass sich mein Umgang mit meiner Erkrankung ändern muss, damit es mir besser gehen kann. Ich bin mir bewusst, dass mich meine Depression mein ganzes Leben begleiten wird. Möchte ich also nun mein restliches Leben in ständigem Kampf verbringen? Nein!
Dann habe ich ja nichts zu verlieren, meine Sichtweise zu verändern. Allerdings wisst ihr sicherlich genauso gut wie ich, wie schwer es ist unter dem grauen Schleier ‚klar‘ zu sehen. Daher hilft nur üben – und zwar in Phasen, in denen es mir gut geht. Wenn das doch so ‚einfach‘ wäre!
Mittlerweile bemühe ich mich, in schwierigen Phasen der kleinen Annie beizustehen. Sie muss die fiesen Gefühle von Traurigkeit, Hilflosigkeit, Angst, Verzweiflung nicht alleine bewältigen. Wir gehen da gemeinsam durch!
Wie denkt ihr über das Thema? Seht ihr eure Erkrankung als Gegner, den es beständig zu bekämpfen gilt? Wie geht ihr mit euch selbst um, wenn euch die Dunkelheit überrollt?
Ständig zu kämpfen, sehe ich auch als keine dauerhafte Option.
Mir gefällt dieses Bild, mit der Depression einen Tee zu trinken.
So einen Umgang mit meiner Depression konnte ich leider noch nicht etablieren.
Wenn diese bei mir vorbei kommt, dann mit einer Flasche Wodka.
Es bleibt wohl nur, weiter zu üben. Auch wenn alles andere als einfach ist…
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Hallo Alice,
es muss nicht unbedingt ein Tee sein. Wenn es dir hilft mal einen Abend mit der Depression einen zu saufen, dann ist das auch ok. Nur du solltest die Kontrolle behalten? Schmeiß sie raus, wenn sie hackedicht ist 🙂
Annie
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Der Gedanke, meine Depression ist (m)ein Gegner, den ich um jeden Preis bekämpfen muss, hatte ich in den ersten Erkrankungsjahren sehr stark.
Irgendwann, als die Depression dann trotz meines enormen inneren Widerstand wiederkam und mit Hilfe durch mneuen Doc einen kam ich dann zu der Erkenntnis, dass dieser Weg mich nicht weiterführt. Im Gegenteil, das ständige „Ich will nicht depressiv sein! Warum darf ich nicht gesund sein? Los, Depression, verschwinde sofort aus meinem Leben!“ hat es eigentlich nur noch schlimmer gemacht …
Ich habe so viel Kraft n den Widerstand gegen etwas investiert, dem mein Widerstand ziemlich egal war. Die Depression verschwindet ja schließlich nicht, nur weil ich das gerne so hätte (schön wär´s ja), genau so wenig wie eine Schilldrüsenerkrankung oder Herzprobleme weggehen, nur weil man sich das wünscht …
Ich möchte jetzt stattdessen versuchen, jeden Tag einfach so gut wie möglich zu leben und wie du geschrieben hat, meine Gefühle zu akzeptieren, zu schauen, ob sie mir vielleicht sogar etwas mitteilen wollen. Meine Therapuetin spricht von „radikaler Akzeptanz“ dessen, was ist.
Das Video, das du ansprichst, habe ich letztens auch gesehen und finde es super anschaulich 🙂
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Liebe Nebelherz,
diesen ersten Widerstand kennt, so vermute ich, fast jeder. Wir möchten diese ekligen Gefühle und Gedanken nicht haben, also müssen wir dagegen vorgehen. Nur so funktioniert es leider nicht. Dein Vergleich mit der Herzerkrankung finde ich gut. Meistens ist es ja auch so, dass Dinge, die wir unbedingt weghaben möchte, erst Recht in den Mittelpunkt rücken. Wie die Gedanken mit dem rosa Elefanten – denk jetzt mal bitte nicht an ihn 😉
Ich denke wir müssen lernen uns anzunehmen, liebevoll wertzuschätzen und die Depression als ein Teil des Lebens zu begreifen. Sie darf auch da sein, nur wir behalten die Kontrolle. Gar nicht mal so einfach, was?
Schöne Wochenendgrüße von Annie
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Hallo Annie,
es ist immer schwierig da diese Gefühle so variieren und manchmal intensiver sind und dann sind sie mal schwächer. Depression habe ich nicht und ich kann mich schwer einfühlen in Betroffene. Was ich kenne sind schwarze Löcher die sich manchmal auftun und einen verschlucken. Es raubt einen wirklich alles in dem Moment. Gefühle sollte man alle annehmen und wahrnehmen, auch die schlechten. Schönes Wochenende
Tanja
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Liebe Tanja,
jeder Mensch hat ja eine Palette an Gefühlen – gute und weniger gute. Das ist völlig natürlich. Bei Menschen mit einer Depressionen verstärken sich die schlechten, niederdrückenden Gefühle extrem, so dass du deinem Alltag, den du sonst mit mehr oder weniger Leichtigkeit überwindest, nicht mehr nachgehen kannst. Außenstehende verstehen es häufig nicht, weil sie sich in ihren Augen ja auch genug anstrengen. Dabei liegt es nicht daran, dass Depressive sich nicht anstrengen – sie würde gerne, wenn sie könnten. Sie können aber wirklich nicht. So seltsam das klingen mag.
Du machst es ganz richtig, wenn du alle Gefühle wahrnimmst, zulässt und versuchst die Kontrolle zu behalten. Jedes Gefühl ist wichtig, weil es uns etwas sagen möchte. Wobei es eher die Gedanken sind, die uns etwas sagen möchten – unsere Gefühle folgen unseren Gedanken.
Komm gut ins Wochenende!!
Annie
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Hallo Annie,
Du könntest eine gute Therapeutin sein! 😀
Ist immer sehr ermutigend wenn ich hier was lese.
Danke für diesen Post!
Liebe Grüße
Ralf
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Lieber Ralf,
danke für deine Worte, auch wenn ich gar nicht erpischt darauf bin Therapeutin zu werden 😉
Komm gut ins Wochenende!
Annie
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Hallo Annie,
die Idee ist sehr schön und könnte ein weiterer Versuch sein, mich mit meiner Depression anzufreunden. Bisher habe ich immer damit gehadert und sie weg haben wollen (wer will das nicht?) gehasst habe ich sie. Ich kann das bis heute schlecht, mich mit ihr arrangieren. Ich bin trotzig und wütend wie ein kleines Kind. Nein, ich WILL das nicht. Das mit dem Tee werde ich mir zu Gemüte führen. Ich weiß ja theoretisch, dass Ablehnung nichts bringt. Aber wieso meinst Du, dass Deine Depri nie weggehen wird? Gabs denn in deinem Leben keine Zeit ohne sie? Ich gehe davon aus, dass meine immer weniger wird und unmerklich verschwindet. Ich war in der Tageslklinik und kam schwer depressiv davon zurück, ich war 2 Woche in der Psychiatrie – das brachte gar nichts. Nach 14 Wochen Psychosomatischer Klinik war ich nur noch mittelschwer depressiv und nach 7 Wochen ambulanter Reha nur noch leicht. Ich gehe davon aus eines Tages wieder ganz gesund zu sein. Übrigens Alkohol hilft mir überhaupt nicht. Bei Angst ja, bei Depris gar nicht!
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Liebe Monika,
herzlichen Dank für deinen Kommentar. Ich kann dir nur zustimmen, dass alleiniges Ankämpfen gegen die Depression auf lange Sicht nichts bringt. Es geht viel eher darum einen „Kompromiss“ mit ihr zu finden. Ich bin relativ sicher, dass mich depressive Phasen immer wieder durch mein Leben begleiten werden, weil ich mittlerweile seit 12 Jahren damit umzugehen lerne. Als Kind war ich schon recht auffällig, nur ob ich es da schon Depression benennen würde, weiß ich gar nicht. Bei Kindern äußert sich eine solche Erkrankung meist ja auch anders. Meine Therapeutin sagte mal, dass es schon viel wert ist, wenn die hellen Phasen länger und länger werden. Bist du zur Zeit in ambulanter Therapie? Wie geht es dir damit?
Annie
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Ich denke, Kämpfen ist die große Falle, in die man so leicht tappt. Wir leben ja in einer Welt, in der härter zupacken immer das Mittel der Wahl zu sein scheint. Zähne zusammenbeissen, sich zusammenreissen, das Ding endlich in den Griff bekommen! Was letztendlich alles nur schlimmer macht, da man nicht seine Depression bekämpft, sondern sich selbst. Möglicherweise macht es das auch leichter, überhaupt eine Depression zu bekommen.
Loslassen lernen von dem, was schmerzt. Gar nicht leicht finde ich das. Loslassen und annehmen sind nah beieinander, so gegensätzlich sich das anhört. Denn wenn ich schwierige Gefühle nicht annehme, dann kann ich sie auch nicht loslassen. Weil sie durch das Bekämpfen stärker werden können. Ob ich jetzt Tee trinken will mit ihnen? Weiß nicht… aber ich versuch es immer mit einem „Hallo schwieriges Gefühl, du bist gerade ein Teil von mir. OK, dann sei erst mal da“ – oder so ähnlich.
Klar sehen, klar sein. Das vermisse ich immer wieder. Das wünsche ich mir für mich selbst, und auch dass ich es anderen gegenüber leben kann. Ein glasklares „das ist jetzt bei mir so“ oder „das mache ich jetzt so, so geht das“.
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Hallo Annie,
danke für diesen Beitrag !
Ich bin gerade dabei zu lernen, dass das Kämpfen der falsche Weg ist…Ist nicht einfach, weil ich immer die Anpackende war, die die Kontrolle hat…und jetzt… versuche ich, diese Depression anzunehmen, mit ihr ein Käffchen zu trinkend sie zufragen, was sie mir sagen willl… gerade hab ich keine gute Phase… ich hoffe, es wird mir helfen,den Glauben wieder zu finden, dass es gut wird… mein Therapeut glaubt daran-und fürmich mit, bis ich es selber kann…
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Liebe Nana
herzlichen Dank für deinen Kommentar! Wir wählen den schwierigeren Weg, wenn wir versuchen unsere Gefühle anzunehmen und hinzuschauen, welche Botschaft sie uns vermitteln. Das erfordert auch viel Mut. Kannst du mit deinem Therapeuten denn daran arbeiten?
Schöne Grüße von Annie
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Hallo, Annie!
Meine Depression ist mein Alarmsystem geworden, also alles andere als mein Feind. Ich hasse es zwar, depressiv zu sein, also nichts zu fühlen, bleischwer zu werden und keinen Antrieb mehr zu haben, aber mittlerweile weiß ich, dass es dafür einen Grund gibt. Irgendwo habe ich dann nicht auf mich aufgepasst, meine innere Stimme überhört oder keine Grenzen gesetzt. Die Depression kommt dann, um mir das zu sagen: Überleg mal, was passiert ist!
Und die kleine Yvonne war mir anfangs auch so fremd und so zuwider, dass es mir heute das Herz zerreißt. Die Arbeit mit ihr war sehr heilsam für mich. Und ja, da Depression chronisch ist, macht es echt keinen Sinn, ständig gegen sie zu kämpfen.
Anders ist es bei mir mit der Angst. Da bin ich noch nicht soweit.
Danke für diesen Artikel!
Yvonne
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Liebe Yvonne,
ja die Depression ist wie eine große Sirene, die uns auf eine Situation, die uns nicht gut tut, aufmerksam machen möchte. Ich denke es ist wichtig, die ersten Anzeichen zu erkennen und gezielt entgegen zu wirken, in dem wir hinschauen und handeln. Und du hast völlig Recht, dass es keinen Sinn macht, gegen unsere inneren Kinder anzukämpfen. Ich habe die kleine Annie lange Zeit genauso schlecht behandelt, wie sie es von früher gewohnt war. Im Nachhinein tut es mir sehr leid und macht mich auch traurig, nur es ist gar nicht so einfach ihr die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie braucht. Meist meldet sie sich nämlich in Situationen, in denen ich sie am wenigsten gebrauchen kann. Aber bedeutet das nicht auch, dass ich sie wieder mal zu lange ignoriert habe?!
Viele Grüße von Annie
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