sollte auch ich nicht pauschalisieren! 🙂
Als ich gestern in der Straßenbahn zu meiner Therapiesitzung saß, unterhielten sich gegenüber von mir zwei Seniorinnen miteinander. Leider konnte ich nicht weghören als sie die Lage der Flüchtlinge thematisiert haben. Wobei die eine ältere Dame das Wort Flüchtling gar nicht in den Mund nahm. Sie formulierte es so: „Dann schlagen die sich in den Heimen die Köpfe ein. Was die nur für ein Pack in unser Land holt!“
Ich mag dieser älteren Frau nicht unterstellen, rassistisch zu sein, aber ich war kurz davor, meinen Mund aufzumachen. In Sekundenschnelle habe ich mich hinreißen lassen, genauso verurteilend über diese Seniorin zu denken, da ihre Aussage einen faden Nachgeschmack bei mir hinterließ, der mich wütend machte. Mir schwirrten Sätze im Kopf herum wie „Was denken Sie würde passieren, wenn wir 500 Deutsche ohne weiteres Wissen über ihre Zukunft in eine Halle stecken, die gerade einmal notdürftig mit allem nötigen ausgestattet ist?“
Als ich selbst noch einmal über meine Gedanken reflektierte, fiel mir eine Situation aus meiner Jugend ein. Wir brauchen gar nicht mal in eine extreme Notlage zu kommen, damit WIR uns gegenseitig ‚die Köpfe einschlagen‘. Früher war ich mit meiner Mutter jedes Jahr in einem All Inclusive Urlaub. Einmal erlebte ich in einem Hotel unglaubliche Szenen, die mich an dem Anstand der Menschheit zweifeln ließ. Das Abendbuffet war ab 18:30 Uhr geöffnet. Die ganz Verzweifelten ließen es sich allerdings nicht nehmen, schon um 18 Uhr vor dem Restaurant zu warten, damit sie als erstes an ihrem Tisch sitzen konnten. Jetzt ereignete sich kurz vor Öffnung des Buffets folgende Situation: Ein Kellner stellte sich ans Buffet und klatschte dreimal in die Hände. Das war das Startsignal aufzuspringen, zum Buffet zu rennen, jeden aus dem Weg zu schubsen, der es wagte sich dazwischen zu stellen, einen Teller aus der Tellerhalterung zu reißen und sich in Windeseile von allen angebotenen Speisen Berge aufzuhäufen, auch wenn am Ende die Hälfte zurück ging. Da dies meiner Mutter und mir zu doof war, sind wir bewusst nach dem ersten Ansturm Essen gegangen.
Natürlich heiße ich weder im Urlaub noch in der aktuellen Flüchtlingslage irgendeine Form von Gewalt gut. Trotzdem dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren, was diese Menschen mitmachen mussten. Viele kommen aus Gebieten, in denen seit Jahren Bürgerkrieg herrscht. Sie mussten vielleicht Familie zurücklassen oder haben ihre Eltern auf dem Weg verloren. Dann die Ankunft in einem unbekannten Land, neue Kultur, völlig andere Sprache und neben den hilfsbereiten Menschen einige wenige Idioten, die ihnen nicht wohl gesinnt sind. Sie leben auf engstem Raum, ohne jegliche Privatsphäre mit Fremden aus ebenso unbekannten Ländern mit fremden Sprachen und anderen Kulturen. Keiner von ihnen weiß, wie es für sie weitergeht und für viele ist die wichtigste aller Fragen ungeklärt: „Kann ich jemals wieder in meine eigene Heimat zurück?“ Denn keiner verlässt seine Heimat, seine Wurzeln, gerne!
So ganz übel nehmen, kann ich der älteren Dame ihre Aussage gar nicht. Seit Monaten dominieren Themen rund um die Flüchtlingskrise unsere Nachrichten. Zu oft wird dabei das Augenmerk auf die negativen Aspekte gelenkt, die von einem Teil der Gesellschaft bereitwillig immer wieder aufgegriffen werden. Hier eine Schlägerei, dort werden Frauen missbraucht und wieder woanders gehen Muslime gegen Christen vor. Ehrlich gesagt habe auch ich keine ultimative Lösung auf Lager. Es könnte allerdings helfen etwas Empathie aufzubringen, auf die Menschen zuzugehen, ihnen Gehör zu schenken und sie so zu behandeln, wie jeder von uns gerne behandelt werden möchte. Das bedeutet selbstverständlich auch, jede Form von Gewalt zu unterbinden und frühzeitig zu intervenieren.
In der ganzen Situation habe ich eigentlich nur einen Wunsch (auch an mich selbst):
Lasst die Barrieren, die in all unseren Köpfen existieren, nicht bestehen! Trauen wir uns sie Stein für Stein abzutragen!
Dieser Beitrag entstand im Rahmen der großartigen Aktion von Blogger für Flüchtlinge.
Liebe Annie,
das hast du schön geschrieben. Wir haben den Flüchtlingen eine bisher noch nie da gewesene Willkommenskultur gezeigt. Das kann so bleiben. Auch, wenn Fragen da sind. Auch, wenn man sich Sorgen macht. Das finde ich OK. Aber ich denke, wir können auch den Verantwortlichen Vertrauen schenken, dass sie einen Weg finden.
Jeder Brand, jede Anfeindung darf natürlich nicht sein. Dagegen werde ich mich immer auflehnen. Aber ich finde bemerkenswert, dass die Stimmen der Fremdenfeinde kaum Gehör finden, weil die Helfer viel lauter sind.
#bloggerfuerfluechtlinge ist eine gute Aktion. Sie zeigt – wie #bloggergegenhass – dass es möglich ist, sich für eine gute Sache gemeinsam zu positionieren. Ich habe gerne (m)einen Beitrag geleistet.
LG Hans
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Lieber Hans,
danke für deinen Kommentar. Was mich zur Zeit stark irritiert sind diese Gegensätze. Auf der einen Seite hilfsbereite Menschen, die alles tun, damit es den Flüchtlingen ein wenig besser geht, auf der anderen Seite Hassparolen und Brände. Können wir sie nicht einfach als Menschen sehen? Menschen, die leben möchten; Menschen, die mit ihrer Familie zusammen sein möchten; Menschen, die in den meisten Fällen ungern ihre Heimat verlassen mussten.
Grüße
Annie
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