Ein undurchdringbarer Nebel legt sich langsam über alle Gedanken. Eine graue, dichte Masse, die sich von innen heraus ausbreitet, bis sie an den äußeren Rand gelangt. Von dort sickert sie hinaus, an meinem Gesicht hinab, hüllt mich nach und nach ein. Die Gefühle werden diffus, kapseln sich ab, ich fühle mich eingewebt in eine Wolke – abgeschnitten von der Welt, völlig einsam und verloren.
Ungefähr so ergeht es mir im Moment nach fast jeder Therapiesitzung. Ich kann nicht deuten, ob es ein gutes oder schlechtes Zeichen ist. Jedenfalls brauche ich einen ganzen Tag, um zu mir selbst zurückzukehren – mich wieder zu spüren, den Nebel etwas zu lichten. Früher habe ich in schwierigen Situationen häufig so reagiert, z.B. wenn mir die Menschen um mich herum zu viel wurden oder in der Therapie alte Gefühle aufgetaucht sind. Ich kann mich sogar bewusst in diesen Zustand versetzen, wenn ich meine Ruhe haben möchte. In der Therapie läuft er jedoch völlig unbewusst ab.
Außerdem ging es bei meiner letzten Sitzung NUR um Psychoedukation.
Meine Therapeutin hat mit mir zusammen mein individuelles Depressions-Modell erarbeitet. Jede psychotherapeutische Richtung hat bekannterweise ihre eigenen Erklärungen, wie eine bestimmte Störung zustande kommt. Fast jeder von uns kennt den Zusammenhang um Freud und seiner Theorie der dysfunktionalen frühkindlichen sexuellen Bedürfnisse. Darum geht es in meiner Therapie zum Glück nicht!
Wir hangelten uns an unterschiedlichen Faktoren entlang, damit ich für mich herausfinden konnte, welche Umstände meines Lebens mich immer wieder in depressive Phasen stürzen lassen. Dabei geht es nicht nur darum, zu schauen, woher eine Depression kommt, sondern auch ihre Funktion zu entdecken. Wir sind nicht depressiv, weil es uns so viel Spaß macht. Meist steckt viel mehr dahinter, wie z. B. ein geheimer Wunsch nach Zuwendung, Aufmerksamkeit oder auch Entlastung.
Das Modell ist von der Entstehung und Aufrechterhaltung einer Zwangsstörung entliehen.
1. Biologische Faktoren – Vererbung, Krankheiten
2. Persönlichkeitsaspekte – damit ist einerseits das angeborene Temperament gemeint, aber auch die erlernten Persönlichkeitsanteile, z.B. Perfektionismus, Selbstunsicherheit, Misstrauen
3. Familiäre Faktoren – Konflikte mit Eltern oder Geschwister, keine Akzeptanz von Seiten der Familie, emotionale Vernachlässigung
4. Soziale Faktoren – Stress in der Schule/Uni/Arbeit, Konflikte mit Freunden, Mobbing
5. Kritische Lebensereignisse – schwere Erkrankung eines Familienmitglieds, Tod einer nahestehenden Person, Trennung vom Partner, Übergang von Schule in Beruf
6. Funktionale Faktoren – das sind die Faktoren, die der Depression eine Funktion zuteilen, z. B. Entlastung von der Arbeit, positive Zuwendung von Freunden oder Familie, unerfüllte Sehnsüchte
Es fiel mir unglaublich schwer, mich darauf einzulassen. Mein Kopf war binnen Minuten mit dem grauen Nebel ausgefüllt, so dass mir fast jegliche Erinnerung abhanden kam. Da meine Therapeutin sehr aufmerksam ist, konnte sie mir weiterhelfen, in dem sie Dinge aus den vorherigen Sitzungen ansprach, so dass ich nach und nach die Puzzleteile zusammensetzen konnte. Mit etwas Distanz fallen mir sogar noch weitere Punkte ein.
Ambivalenz lässt grüßen – Hey du, na wie geht’s? Auch schon wieder da?
Wisst ihr was das Verrückte ist? Eine Seite in mir möchte dem Ganzen eine Chance geben; alles, was in der Therapie passiert, annehmen und ausprobieren. Dahinter stehen doch sicherlich Sinn und Zweck. Jedoch nagen auch Zweifel an mir. Ich weiß wie schwer es ist, die Ursache für eine Depression wirklich sicher zuzuordnen. Selbst Mediziner wissen bisher nur, dass es sich um komplexe Zusammenhänge innerhalb unseres Körpers handelt, von denen sie nicht einmal genau sagen können, wie sie zusammenhängen. Dieser zweifelnde Teil in mir möchte deshalb keinesfalls so ein Modell erarbeiten.
Wie ist das bei euch? Wisst ihr, woher eure depressive Erkrankung kommt? Was tut ihr, damit sie weiter bzw. immer mal wieder in euer Leben tritt? Welche Funktion hat sie für euch?
Hey Anni,ich kenne solche dissoziativen Zustände auch von mir
Sie treten besonders dann auf, wenn ich mit einem traumatischen Erlebnis konfrontiert wurde!Und das, woher meine Depression kommt – da kann ich auch zum größten Teil sagen, dass familiäre Faktoren hauptsächlich mit dafür verantwortlich sind. Klar, bestimmt kam ich als Sensibelchen auf die Welt – aber emotionale Vernachlässigung seitens der Eltern haben ihren Teil dazu beigetragen, dass sich mehr und mehr Depressionen & Co entwickeln konnten … von Mobbing in der Schulzeit und kritischen Lebensereignissen mal zu schweigen …"Was tut ihr, damit sie weiter bzw. immer mal wieder in euer Leben tritt?" – Fehlt da irgendwo ein "nicht" oder tust Du wirklich was dafür, dass die Depression in Dein Leben tritt? Ich versuche gerade an den Ursachen zu arbeiten, damit sie eben nicht mehr in mein Leben tritt …!?!Bin gespannt auf Deinen Ambivalenz-Beitrag ;)Alles Gute,Nora Fieling
LikeLike
Liebe Noraherzlichen Dank für deinen Kommentar. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob das wirklich eine Dissoziation ist. Eher würde ich es unter einem Mix aus Depersonalisation und Derealisation einordnen. So ganz klar ist mir mein Zustand noch nicht.Es klingt nicht gerade schön, wenn ich mir deine Faktoren anschaue. Vieles davon kommt mir auch sehr bekannt vor. Meine Frage war übrigens so gemeint, wie sie oben steht. Unsere Erkrankungen haben einen Sinn bzw. ich gehe davon aus ein Teil in uns hält sie aufrecht, weil sie eben eine Funktion erfüllen. Welche genau gilt es herauszufinden. Denn dann kann die Arbeit am effektivsten wirken vermute ich. Gibt es denn bei dir einen Grund deine Depression aufrecht zu erhalten? Annie
LikeLike
Liebe Annie,
oh – da ist er ja, der Nebel im Kopf 🙂
Hermann Hesse, der hochsensibel war, hat dazu ein ganz wunderbares Gedicht geschrieben:
Ich selbst bin im Jahr 2003 an BurnOut erkrankt. Mittlerweile weiß ich aber warum! Ich selbst habe mich nicht verstanden – ich konnte meine eigenen Bedürfnisse nicht formulieren und umsetzen und mochte mich selbst nicht. Ich habe zuerst die Anforderungen von außen bedient als meine eigenen. Bei Hochsensiblen ist es tatsächlich so, dass sie aufgrund der vielen Reizen eine andere Bedürfnisstruktur als Normalsensible haben.
Mehr erfährst du auch hier:
http://www.hochsensibel.org/startseite/infotext.html
Liebe Grüße,
Julia
LikeLike