Dann aber eine sehr alte, die ich anscheinend fleißig in dem hintersten Winkel meines Schrankes aufbewahre. Schon 2008 stand die Diagnose Dysthymie bereits im Raum. Damals war ich in der Tagesklinik und mein dortiger Therapeut äußerte es als eine vage Vermutung. Ich konnte mit dem Begriff so gar nichts anfangen. Also recherchierte ich im Internet und war mir relativ schnell sicher: „Das habe ich garantiert nicht!“ Meine neue Psychotherapeutin äußerte jetzt, knapp 7 Jahre später, eine ähnliche Vermutung. Aus heutiger Sicht ist es für mich gar nicht mehr so unwahrscheinlich unvorstellbar.
Was ist also diese Dysthymie?
Die Symptomatik ist ähnlich einer Depression – wenig Antrieb, Interessenverlust, Motivationslosigkeit, keine Empfindung von Freude, starke Hoffnungslosigkeit etc.
Laut ICD-10 (Internationale Klassifikation von Erkrankungen) liegen diese Symptome in gemilderter Form über einen Zeitraum von mindestens 2 Jahren vor, so dass die Diagnose einer depressiven Episode nicht gestellt werden kann. Allerdings verschweigt diese Beschreibung, dass während einer Dysthymie sehr wohl rezidivierende depressive Episoden vorkommen können. Das kann die Erkrankung zu einem großen, lang anhaltenden Leiden machen.
„Mildere Formen von Dysthymia können dazu führen, dass man Situationen vermeidet, in denen Stress, Ablehnung oder Fehlschlag möglich sind. In ernsteren Fällen von Dysthymia zieht man sich möglicherweise sogar von alltäglichen Tätigkeiten zurück und findet wenig Freude an gewöhnlichen Unternehmungen und Zeitvertreib. Die Diagnose von Dysthymia kann sich als schwierig gestalten, denn die Symptome sind unterschwelliger Natur und können von den Patienten in sozialen Situationen oft gut versteckt werden, was es für Andere schwierig macht, sie zu entdecken.“ Wikipedia
Diese Beschreibung passt schon einmal zu mir wie die Faust aufs Auge! Ich vermeide es von anderen abgelehnt zu werden, in dem ich mich immer unter Kontrolle halte. Deswegen bin ich in sozialen Situationen häufig innerlich angespannt. Wobei es mir im Gegensatz zu meiner Jugend schon leichter fällt, mit anderen in Kontakt zu treten.
Vor einigen Wochen sagte mir eine Freundin, dass sie nie gedacht hätte, wie schwer mir Gruppenkontake fallen. Es hätte an der Uni so gewirkt als wäre das ganz einfach für mich. Nur was so einfach erscheint, kostet mich eine Menge an Energie. Stellt euch vor ihr müsstet über alles, was ihr sagt und tut, vorher eine gedankliche Auseinandersetzung mit anschließender Kontrolle durchführen.
Woher kommt eine Dysthymie?
„Allerdings gibt es Hinweise, dass Dysthymia zumindest teilweise genetisch bedingt sein kann, da sich Fälle von Dysthymia in Familien häufen […] Andere Faktoren, die mit Dysthymia verknüpft sind, sind Stress, soziale Isolation oder das Fehlen von sozialer Unterstützung.“ Wikipedia
Wenn ich meine Familie betrachte, könnte der genetische Faktor ein wichtiger Hinweis sein. Mein Vater leidet an einer Zwangserkrankung und schwankte schon während meiner Kindheit zwischen Verzweiflung und Aggression. Meine Mutter kann mit Emotionen anderer Menschen nicht umgehen; ich vermute es macht sie hilflos. Ich hatte von Seiten meiner Familie keinen sozialen Rückhalt. Vielleicht war das auch ein Grund, wieso ich in der Grundschule sowie auf dem Gymnasium das perfekte Opfer für Mobbing war. Ich hatte nie gelernt, mich in einem größeren sozialen Umfeld zu bewegen, ohne gleich jeden als Feind anzusehen.
Die Doppeldepression (double depression)
Wie ich bereits weiter oben erwähnte, können auch bei Menschen mit einer Dysthymie depressive Phasen auftreten. Das nennt sich Doppeldepression
„Das Risiko, eine schwere Depression zu entwickeln, ist für Menschen mit Dysthymia höher als durchschnittlich. In einer zehnjährigen Studie stellte sich heraus, dass 95 % der Dysthymiapatienten eine depressive Episode erlebt hatten.“ Wikipedia
Ehrlich gesagt finde ich die Zahl erschreckend hoch. Die Therapie erfolgt aus meiner Sicht nicht anders als bei einer Depression. Am hilfreichsten bewährt sich die Gabe von Antidepressiva (denen gegenüber ich nach mittlerweile 8 Jahren eher negativ eingestellt bin) und Psychotherapie – die kognitive Verhaltenstherapie ist nachweislich sehr effektiv. Das macht mir Hoffnung auf meinem weiteren Weg!
Auf Wikipedia sind alle wesentlichen Informationen zusammengefasst und ihr könnt euch die Diagnosekriterien der Amerikanischen Gesellschaft für Psychiatrie anschauen. Falls ihr euch in einigen Punkten wiedererkannt haben solltet, könnt ihr dort genauer nachlesen. Allerdings ersetzt das Internet oder auch online Tests nie eine fachärztliche Diagnose.
Wie gehe ich jetzt also damit um, wenn bei mir wirklich eine Dysthymie mit immer wiederkehrenden depressiven Episoden diagnostiziert wird? Gibt es Hoffnung diese Krankheit jemals ganz loszuwerden?
Eigentlich ist es fast egal wie es sich nun schimpft. Viel wichtiger ist es zu schauen, was ich dagegen tun kann – was mir persönlich in meiner einzigartigen Situation helfen kann. Deshalb hoffe ich so sehr mit der neuen Therapeutin zusammen, einen Weg zu finden, der mir hilft, nicht an jedem Stolperstein hängen zu bleiben und in das nächste Erdloch zu fallen.
Oder um auf die olle Unterhose zurückzukommen: Es wird Zeit auszusortieren und mir neue Höschen zu besorgen!
Hey du, danke für den tollen, informativen Beitrag! Ich würde dir sehr wünschen, dass du mit deiner neuen Therapeutin Wege für dich findest und das wirst du bestimmt. Und neue Höschen sind nie schlecht;-) Grins. Liebe Grüße, ÜberlebenskünstlerinDie Überlebenskünstlerin
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Liebe Überlebenskünstlerinich finde deinen Name total toll, denn es zeigt wieviel Kraft und Mut in dir steckt! Danke für deinen Kommentar. Ich bin voller Hoffnung, dass mir die neue Therapie echt etwas bringt, so dass ich neue Wege finde mit meinen Depressionen umzugehen. Neue Höschen gibt es definitiv mal wieder :-)Nur nicht vergessen die alten wirklich wegzuschmeißen!Annie
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Auf der Suche nach meiner Diagnose und einer gefühlt extrem erfolglosen Sitzung bei meiner Therapeutin bin ich hier vorbeigekommen.
Mich hat der Zeitraum, den du oben genannt hast, erschreckt.
Ich lebe mit meinen Symptomen seit nahezu 20 Jahren. Und höre oft das ich mich gar nicht ändern will, ambivalent wäre und die Therapie nix bringt weil ich mir nicht genug Mühe gebe.
So jetzt habe ich meine Probleme hier auch noch da gelassen, sorry.
Liebe Grüße
Winter
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Hallo Winter (brrr ganz kalt),
wurde bei dir schon einmal die Diagnose Dysthymie gestellt? Das hat ja nichts damit zu tun, dass du dich nicht ändern magst. Ich gehe mal davon aus du möchtest etwas verändern?! Wer macht dir denn diese Vorwürfe? Ehrlich gesagt klingt das ziemlich hart und ich wäre sehr verletzt, wenn mir das meine Therapeutin (z.B.) sagen würde.
Ganz viel Kraft von Annie
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