… SCHWEIGEN
Ich mag keine Anrufbeantworter. Deshalb vermeide ich es auf eben solche zu sprechen. Natürlich habe ich selbst einen und bin jedes Mal froh, wenn der Anrufer nicht direkt wieder auflegt, sondern mir mitteilt, was er denn von mir will.
„Annie, du musst dir eine Therapie in deiner Stadt suchen!“
„Annie, jetzt nimm endlich das Telefon und trau dich!“
Ja, das muss ich wohl, wären da nicht diese Anrufbeantworter, die schon leise lauernd auf mich warten. Es ist für mich nachvollziehbar, dass die Telefone in einer Psychotherapiepraxis nicht dauerhaft besetzt sein können, damit ich auch jederzeit anrufen kann, ohne Gefahr zu laufen auf einen dieser Apparate sprechen zu müssen
Als ich das erste Mal in der Situation war, mir eine Psychotherapie zu suchen, habe ich meine Erzfeinde für einen Vorteil ausgenutzt. Die Namen der Therapeuten zeigten mir ja schließlich nicht, welche Person dahintersteckt und wie diese auf mich wirkt. Also beschloss ich in einer Nacht und Nebelaktion – ich konnte zu dieser Zeit nie vor dem Morgengrauen einschlafen – mir einfach die Anrufbeantworter anzuhören. Damit konnte ich mir einen ersten Eindruck verschaffen (wobei die Stimmen nicht immer zu der Fachperson gehören muss). Zusätzlich bekam ich wichtige Informationen über telefonische Sprechzeiten oder den Hinweis auf einen Patientenstop.
Vor einem Jahr habe ich gemerkt, wie sich die Depression wieder langsam in mein Leben schlich. Ich hatte und habe keine feste Psychotherapie. Meine frühere Beraterin Frau G., der ich nach knapp 9 Jahren sehr vertraue, ist mittlerweile zu weit von mir entfernt, so dass ich nur alle 4-6 Wochen zu ihr fahren kann. Also dachte ich über einen weiteren Klinikaufenthalt zur Stabilisierung nach. Frau G. rief in der Klinik, in der ich bereits 2010 war, an, um sich für mich zu erkundigen, ob ich relativ zügig aufgenommen werden könnte. Danach lag es an mir einen Vorgesprächstermin zu vereinbaren. Es dauerte 3 lange Monate bis ich mich vorstellen durfte. Der dortige Therapeut nahm mir jedoch jede Hoffnung auf eine schnelle Hilfe. Er war der Meinung, dass ich zuerst eine ambulante Therapie machen sollte bevor ich mich dazu entschließe, wieder stationär zu gehen. Ich fuhr also nach 3 Monaten warten, hoffen und bangen mit einer großen Enttäuschung nach Hause. Woher soll ich denn bitte so schnell eine Therapie auftreiben? 3 Monate sind ohnehin schon ohne etwas zu unternehmen ins Land gegangen! Zum Glück konnte ich vorübergehend zur Beratung bei einer psychologischen Beratungsstelle. Nur es war auch klar, dass ich mich nicht weiter davor drücken konnte, eine Psychotherapie zu suchen.
„Annie, na los, es frisst dich auch keiner auf!“
Ich begann nach langer Zeit wieder einmal das Spiel mit den Anrufbeantwortern und erreichte tatsächlich ein paar Praxen. Eine Therapeutin, die gerade allerdings keinen Platz frei hatte, schickte mir eine Broschüre des Arbeitskreises für niedergelassene Therapeuten meiner Stadt zu. Meine Empfehlung: Forscht nach, ob es so etwas in eurer Stadt gibt! Eine sehr gute Quelle für Adressen und Informationen über Fort- und Weiterbildungen der Fachleute.
Ich googelte, schaute auf jameda – ja ich bin da sehr kontrollierend – und machte mir mysteriöse Zeichen je nach Bewertung neben die Namen. Die ersten Anrufe waren ernüchternd. Wartezeiten von 6 Monaten bis zu einem Jahr. Wie soll ich das aushalten? Dann hatte ich Glück bei einem Therapeuten, der direkt in der darauffolgenden Woche einen Termin frei hatte. 5 Probesitzungen später sagte mir mein Bauchgefühl, dass es mit uns nichts werden wird. Mittlerweile weiß ich sogar, was dieses Bauchgefühl augelöst hat. Hey, ein Fortschritt, sogar ganz ohne irgendeine psychologische Fachkraft!
Also wieder ran ans Telefon. Die nächste Frau, die ich erreichte, hatte dann ebenfalls direkt einen Termin frei – ist das jetzt eine Glückssträhne oder sind denen urplötzlich die Patienten davon gelaufen?? Bei ihr habe ich bisher 4 Probesitzungen erlebt. Allerdings bin ich mir unsicher ob ihr Therapieverfahren – tiefenpsychologisch fundiert – wirklich für mich geeignet ist. In den letzten 10 Jahren habe ich die Vergangenheit so einige Male aus der hintersten dunklen Ecke meines Schrankes gekramt, angeschaut und wieder gut sortiert (glaube ich zumindest) eingeräumt. Mir wäre es daher lieber verhaltenstherapeutische Techniken an die Hand zu bekommen, damit ich lerne mit den dunklen Phasen der Depression besser umzugehen. Die Therapeutin bestätigte mir meine Überlegungen in unserer letzten probatorischen Sitzung.
„Annie, keine Ausreden mehr!“
Seitdem sind 3 Wochen vergangen und bis auf meine unglaubliche, alles von mir fordernde Leistung, die Namen anzustarren, die in der Broschüre stehen, bin ich keinen Schritt weitergekommen. Stattdessen lenke ich mich mit meinem Blog oder anderen Belanglosigkeiten ab. Wieso fällt es mir so schwer das Telefon in die Hand zu nehmen und anzurufen? Ich kann doch wieder mein Spiel mit den Anrufbeantwortern spielen. Ich vermute es ist die Angst, in absehbarer Zeit keinen Platz zu bekommen und nicht zu wissen, wie es weitergeht. Ein Teil von mir möchte auch den endgültigen Abschied von Frau G. nicht – zu viel Traurigkeit. Außerdem kostet es mich enorm viel Kraft, mich jedes Mal auf eine neue Person einzulassen, um in maximal 5 Sitzungen zu beurteilen ob es denn nun passt oder nicht.
Aber morgen … morgen gehe ich es an!
Hallo Annie,die Wartezeiten sind leider wirklich überall so lange 😦 Ich hoffe du findest bald jemanden, bei dem dein neugewonnes Bauchgefühl – ja sagt.Vielleicht wäre es besser, wenn du zu den Praxen gehen würdest? Ist es dann leichter?Liebe Grüße Tanja
LikeLike
Liebe Tanjaam leichtesten wäre es für mich, wenn ich die Möglichkeit hätte eine Mail zu schreiben. Ansonsten bin ich schon zufrieden jemand direkt zu erreichen, so ganz ohne AB. Die Wartezeiten sind wirklich ein Übel! Ich frage mich oft, wie Menschen damit umgehen, die eine depressive Phase zum allerersten Mal erleben und dringend Hilfe benötigen. Dann ist es sicherlich schwer zu hören man solle ein halbes Jahr oder mehr warten.Gruß Annie
LikeLike
Ich stelle mir das immer ganz schlimm vor, wenn man einen "Schub" oder es akut ist, und dann ewig lange warten muss. Das verschlimmert ja alles noch.
LikeLike
Wieder sehr anschaulich, mit erleben dürfen, dabei sein. Du hast einen wundervollen Schreibstil.Diese Suche nach einem geeigneten TherapeutIn ist schon schrecklich und es ist jedesmal ein schwerer Angang.Ich kann das schon sehr gut nachvollziehen. In der Vergangenheit und noch weiter zurück (sprich Kindheit) herumzudoktern halte ich persönlich auch nicht für besonders sinnvoll. Hier und da mal einen kleinen Ausflug, das ist schon ok. Aber darauf die Therapie aufbauen ist doch ziemlich sinnfrei und schon lange überholt. Vielen Dank für einen offenen und schonungslosen Bericht.HG Ede
LikeLike
Lieber Ede Peterich denke ein Mix aus beidem – Vergangenheit und Gegenwart – ist eine gute Sache. Viele Verhaltensmuster, die wir uns antrainiert haben, stammen aus unserer Lernzeit während der Kindheit. Allerdings immer wieder das Gleiche durchzukauen halte ich dann auch für sinnfrei. Viel wichtiger ist es neue Verhaltensweise und Gedanken zu erlernen, die an die Stelle der alten treten können. Eine sehr schwierige Sache!Annie
LikeLike
Wenn du so viel Energie aufgewendet hast daß du dann tatsächlich einen Therapieplatz ergattert hast bist du schon lange wieder gesund! Du hat gemerkt daß du doch was schaffst und durch dieses Erfolgserlebnis so viel Selbstwertgefühl aufgebaut daß deine Depression vollkommen verflogen ist! Ich glaube das ist der geheime Sinn hinter dem Ganzen 😉
LikeLike
Wenn dieser Effekt wirklich einsetzen sollte lieber Don Ralfo, dann wäre mir das nur Recht 😉
LikeLike