Die nächste große Herausforderung meines Lebens – meine Bachelor Thesis – steht vor meiner Tür, um höflich anzuklopfen. Wobei das nicht so ganz richtig ist. Eigentlich steht sie bereits seit einem Jahr vor meiner Tür, klingelt Sturm und lässt sich durch mein beharrliches Nicht-Öffnen auch nicht verjagen.
Als ich im Sommersemester 2012 im zweiten Anlauf mit meinem Studium begonnen habe, war ich sehr motiviert dieses richtig schnell durchzuziehen. Ich kam gerade gestärkt aus den USA zurück und war mir mehr als sicher, dass ich es doch nochmal mit der sozialen Arbeit versuchen möchte. Auch wenn die Uni eine gewisse Art des Bulimie-Lernens verlangte – schlucken, verdauen, ausspucken – kam ich sehr gut mit, konnte sogar einige Module vorziehen. Ich errechnete optimistisch welche Zeit ich gegenüber den RegelstudentInnen einsparen könnte. Durch meinen ersten Versuch Sozialpädagogik an einer anderen Hochschule zu studieren wurden, mir zwei Module anerkannt – wobei das eher lächerlich ist, wenn ich mir überlege, dass ich bereits mein Vordiplom in der Hand halte. Mein Ausflug in die spanische Sprachwissenschaften wurde ebenfalls belohnt, so dass ich ein weiteres Modul verrechnet bekam.
Also los Annie – 4 Semester to go!
Mittlerweile bin ich bereits über die Regelstudienzeit von 6 Semestern hinaus und möchte seit einem Jahr meine Abschlussarbeit schreiben. Alles war bis ins kleinste Details geplant. Der Dozent stand fest – ein Prof aus meinem Institut, in dem ich mein Theorie-Praxis-Projekt gemacht hatte, eine Themenrichtung wurde beschlossen und der Zeitraum für die Anmeldung festgelegt.
Schade, dass meine Depression sich nicht an meine Pläne hält! Ihr ging mein Plan schlichtweg am A*** vorbei. Sie schlich sich also mit einem Zweitschlüssel in meine kleine bescheidene Wohnung, die ich seit November bewohne – vielleicht gefiel ihr ja der Tapetenwechsel genauso gut wie mir -, machte sich auf meinem Sofa breit und möchte den Platz in der ersten Reihe meines Lebens nicht so schnell wieder verlassen.
Mein erstes Zögern setzte ein, als ich merkte, dass es mir sehr viel Kraft kosten würde neben einem weiteren Modul, was noch geprüft werden sollte, eine wissenschaftliche Abschlussarbeit zu schreiben. Gleichzeitig spürte ich ein innerliches Widerstreben gegenüber dem ursprünglichen Thema. Es war spannend keine Frage, aber ich wollte viel lieber über etwas in Richtung Psychologie schreiben. Nachdem ich also die allerletzte Klausur bestanden hatte – mit Lernen auf Lücke und wenig Konzentration noch ne 3,0 zustande gebracht – suchte ich nach Dozenten, die evtl. mein neu überlegtes Thema annehmen würden. Eine Absage folgte der nächsten. Entweder wurde das Thema abgelehnt oder sie waren schon für das nächste halbe Jahr ausgebucht. Tja, eine sehr gute Möglichkeit für mich ebenfalls Zeit verstreichen zu lassen, ohne aktiv zu werden. Anfang dieses Jahres schrieb ich noch einmal Psychologie-Dozenten an und war selbstbewusst genug mich nicht abwimmeln zu lassen. Bei Frau U. besuchte ich die wöchentliche Sprechstunde und überzeugte sie irgendwie, mein Thema anzunehmen. Als ich sie fragte, wann ich denn im Sommersemester starten könnte, bekam ich von ihr einen Freifahrtschein. Sobald ich beginnen mag, soll ich ins verpflichtende Kolloquium kommen. Mich irritierte allerdings, dass sie sich weder meinen Namen noch mein Thema aufschrieb. Da die Freude über einen gefunden Dozenten mich regelrecht taumeln ließ – ich war richtig glücklich und vor allem erleichtert, vergaß ich es auch relativ schnell wieder.
Also los Annie – erstes Kolloquium im Semester wird direkt mitgenommen!
Wie es so schön ist mit meinen Plänen, kam es wieder ganz anders…
Anfang März verletzte ich mich an meinem Sprunggelenk. Diagnose: Außenbandteilriss, Innenband stark überdehnt. Ich war für 8 Wochen außer Gefecht. Krücken, Sprunggelenkschiene und Thrombosespritzen wurden meine Alltagsbegleiter. Meine Mutter kam wöchentlich, um meinen Haushalt zu stemmen und die Einkäufe zu erledigen. Die Wochen wurden zu einer nervenaufreibenden Angelegenheit.
Das erste Kolloquium kam und ging, das zweite ebenso. Nächste Woche wird wieder eins stattfinden und ich nehme mir vor, dieses Mal wirklich hinzugehen.
Wäre da nicht die Depression auf meinem Sofa mit ihrer nicht zu überhörenden Stimme…
„Dort sind andere, dir unbekannte Menschen, die dich sicherlich komisch anschauen werden, wenn du mitten im Semester auftauchst! Frau U. kann sich bestimmt gar nicht mehr an dich und dein Thema erinnern! Sie war ja anfangs nicht gerade von deinem Thema angetan! Sie wird dich wieder wegschicken und dann haste nichts und BISTE NICHTS!„
Ich bin mir bewusst, dass es nur Gedanken sind und ich erstmal die Realität checken müsste, ob dies alles wirklich so eintritt. Allerdings macht es mir große Angst. Eine Angst, die sich gerade auf meine gesamte Zukunft richtet. Ins Ungewisse gehen war einfach noch nie mein Ding.
Herausforderung: Ich muss lernen die irrationalen Gedanken zu stoppen und mein Fluchtverhalten unter Kontrolle bekommen. Denn nichts weiter ist dieses Verschieben seit einem Jahr – eine große Flucht. Ich weiß allerdings nicht genau wovor und wohin.